Die Kirche in Pirow
Jede Kirche eines Ortes besitzt eine historische Bedeutung. Die Pirower ist mit dem gedrungenen Turm nicht zu übersehen. Erich Weitland, der von Oktober 1906 bis Dezember 1907 Lehrer in Pirow war, beschrieb in späterer Zeit die Geschichte der Kirche in einer Schrift der bekannten Reihe "Prignitzer Volksbücher" aus den zwanziger Jahren mit dem Titel "Das Dorf Pirow in der Westprignitz" sehr anschaulich. Darin lesen wir:
Hinter Linden und Obstbäumen versteckt liegt die Kirche; es ist eine Tochterkirche von Groß Berge. Patron ist Herr von Winterfeld auf Karwe. Über den Bau des ersten Gotteshauses sind die Nachrichten unsicher. Einige Anhaltspunkte dürfte eine Inschrift ergeben, welche sich im Turm an einem sogenannten Mittelträger befindet. Du liest die Zahl 1691, darunter den Namen "Johann Harmes". Wahrscheinlich war er der Erbauer des Turmes und auch der Kirche. Letztere ist anfangs der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aus Altersschwäche, nachdem sie schon seit vielen Jahren von außen an allen Seiten gestützt gewesen ist, ohne irgendwelche äußere Veranlassung, in sich selbst zusammengestürzt. Erzählt wird aber auch, daß man die Stützen durchgesägt und dadurch das alte Gebäude zum Fallen gezwungen habe. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen Gemeinde und dem Patron wurde sie endlich in den Jahren 1853/54 von dem Zimmermann Necker aus Putlitz in ihrer jetzigen Gestalt neu aufgebaut, und zwar massiv, während der alte Turm noch Fachwerk hat.
Über der Kanzel liest man die Worte aus 1.Mose 28: "Hier ist nichts anderes denn Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels." Über der einzigen Tür stehen die Worte: "Unsern Eingang segne Gott." Kanzel und Sprüche gibt es nicht mehr. Im Jahre 1903 entschloß sich die Gemeinde zur Verschönerung der sonntäglichen Gottesdienste eine Orgel zu beschaffen. Zwar ist mancher dagegen gewesen, weil so ein Instrument doch viel Geld koste, und es wäre doch immer ohne Orgel gegangen. Ihre feierliche Einweihung fand am 1. April 1904 statt. Jetzt hat sich die Gemeinde an die Orgel gewöhnt und ist bei dem häufigen Lehrerwechsel wohl mit am meisten um einen tüchtigen Organisten bemüht. Im Turm, welcher nicht mit der Kirche verbunden ist, sondern vom Westgiebel etwa einen halben Meter entfernt steht, weil ihn der damalige Patron nicht als unmittelbar zum Gotteshause gehörig, sondem nur als Glockenhaus angesehen wissen wollte, befindet sich die Glocke, deren Inschrift auf ein fast zweihundertjähriges Alter hinweist.
Diese, am oberen Teil der Glocke unter der Krone befindliche Inschrift lautet: "Soli Deo Gloriam“ und am unteren Rand: "Goos mich Otto Ehlers in Putlitz". Der Turm ist in neuerer Zeit, im Sommer 1863, neu ausgebaut. Er ist bis zum Dache zwei Stockwerke hoch; das untere ist Steinfachwerk, das obere mit Brettern verschlagen. Das Dach hat Ziegelbedeckung. In seinem Innern befindet sich, wie schon bemerkt, eine Glocke zum Läuten der Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, wie auch als Sturmglocke bei Feuergefahr. Da die alten Abendmahlsgeräte durch den langen Gebrauch scnon recht unansehnlich geworden, wurden im Jahre 1897 neue Geräte, wie Weinkannen, Kelch, Oblatenschachtel und Teller zu einem Preise von etwa 100 Mark angeschafft. Die Kosten wurden zum Teil aus freiwilligen Spenden gedeckt. Im folgenden Jahre wurden die zinnernen Altarleuchter durch zwei neu bronzierte ersetzt." Soweit Erich Weitland.
Die erste Trauung in der Kirche mit Orgelspiel war die des Müllermeisters Paul Gerloff. Der Orgelspieler, ein noch ganz junger Lehrer, war wohl so unsicher vor Aufregung, daß er aufhören mußte zu spielen. Als die Kirche noch keine Orgel besaß, trug der Gesangverein zur Hebung des Kirchengesanges bei. Aber auch später verzichtete man nicht auf den Chorgesang, vor allem nicht zu Festgottesdienste. Erzählt wird von einem Gesang zu einer Hochzeit mit dem Lied: "Ich bete an die Macht der Liebe". Alle Anwesenden waren tief beeindruckt von dem herrlichen Gesang der zwei Sänger. Die gute Akustik verstärkte die Stimmen auf wunderbare Weise. So war die Hochzeit lange Zeit ein Dorfgespräch.
Es wird erzählt, daß der Dachdecker Paul Baier aus Pirow in den zwanziger Jahren nach Beendigung seiner Arbeit am Turm auf dem Gerüst einen Handstand vorführte. Der Kirchturm ist mit Schiefer gedeckt. In den neunziger Jahren erhielt er eine neue Hclzverkleidung und eine neue Spitze mit Kugel und Wetterfahne. In der alten Kugel befanden sich Dokumente, die aber leider durch eindringende Nässe völlig zerstört waren. 38 Jahre betreute Pastor Stein die Kirchengemeinde. Er kam 1899 nach Groß Berge. Drei Jahre vorher wurde gerade für Pastor und Lehrer die Kornrente abgeschafft und dafür die Geldrente eingeführt. Sie war aber nicht gerade üppig. Vierzehntägig kam er sonntags, um den Gottesdienst durchzuführen. Bei jedem Wetter wurde er mit der Pferdekutsche gefahren. Heute wird die Kirchengemeinde von der Pastorin Angelika Hanack betreut. Interessantes wird vom einstigen Gemeinde- und Kirchendiener Wilhelm Schröder erzählt. Früh und abends läutete er um 6 Uhr des Sommers und um 8 Uhr des Winters die Kirchenglocken. Die Schuljugend übten an ihm so manchen Schabernack. Trotzdem erklangen stets pünktlich weit über der Pirower Feldmark die Glocken. Um wichtige Bekanntmachungen auszurufen, ging er mit einer Handglocke seine Runde durch das Dorf. Die vielen Gänse auf dem Dorfteichen störten oft durch lautes Geschnatter. Wahrscheinlich wollten sie ihre Meinung äußern. Von Wilhelm Schröder kam es dann oftmals ärgerlich: "Holt Mul!" Er wurde auch Bimmel-Schröder genannt. ln den fünfziger Jahren verfaßte Lehrer Krull für eine Hochzeitszeitung folgenden Vers über den Gemeinde- und Kirchendiener.
Und alle gehen vom Feld nach Haus.
Ausrufen kann er wie wohl keiner,
Nun sagt mir schnell,
Was ist“s für einer?"