Wort zur Woche
von Dr. Elisabeth Hackstein
Nur sichere Fluchtwege helfen
Der Religionsunterricht in meiner westfälischen Grundschule hieß „Biblisches Erzählen“. Da wurden uns Geschichten aus der Bibel vorgelesen, von starken und mutigen Menschen, die etwas Ungewöhnliches taten. Vor allem rankten sich die Geschichten um Jesus und seine Begleiter, wie sie durch Galiläa zogen. Sie hatten oft kein Dach über dem Kopf, aber immer wieder kamen sie zu Menschen, die sie mit offenen Armen und Herzen aufnahmen.
Da waren Maria und Martha, zwei alleinlebende Schwestern. Als Jesus in ihr Dorf kam, öffneten sie entgegen aller gesellschaftlichen Regeln ihr Haus. Damals war es regelrecht skandalös, wenn unverheiratete Frauen Männer beherbergten. Aber die Frauen waren mutig und setzten sich über die Regeln ihrer Zeit hinweg, um gastoffen zu sein. Das hatten sie von Jesus gelernt, wie die Geschichte vom Zöllner Zachäus zeigt.
Zachäus lebte von der Gesellschaft ausgegrenzt und übel beleumundet. Kein frommer Mensch wollte etwas mit ihm zu tun haben. Jesus aber sprach ihn an, er wollte Zachäus Gast sein. Und Zachäus, der Ausgegrenzte, erlebte, wie es ist, als Mensch angesprochen zu werden. Wenn auch materiell gut gestellt, zählte er trotzdem zu den Bedürftigen, bedürftig nach Annahme und Respekt. Das schenkte Jesus ihm, und das verändert Zachäus Leben von Grund auf.
Heute stehen die Bedürftigen, die vor Krieg und Terror fliehen, vor unserer Tür und bitten um Aufnahme und Teilhabe an unserem sicheren Leben. Wir kritisieren zu Recht die Mauer, die Donald Trump gegen Mexiko errichtet und verschließen die Augen vor den Mauern, die wir in Europa errichten. Schönfärberisch sprechen wir von „Rückführung“ oder „Auffanglager“. Da wird Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt, in das wir Menschen ohne Bedenken zurück schicken könnten, wohl wissend, dass es keine sicheren Bereiche in Afghanistan gibt. In allen Teilen des Landes gibt es bewaffnete Konflikte mit den Taliban, nirgends sind die Menschen vor Menschenrechtsverletzungen sicher.
Und nun sollen Auffanglager in Lybien das Problem der Mittelmeerflüchtlinge lösen, obgleich wir wissen, dass Lybien ein Bürgerkriegsland ohne staatliche Strukturen ist. Dieses Land, indem Flüchtlinge ausgeraubt, gefoltert und vergewaltigt werden und in Lagern hungern, ist schon heute eine Todesfalle wie das Mittelmeer selbst. Und deshalb gibt es nur eine humane Antwort auf das Massensterben im Mittelmeer: Lasst uns endlich sichere Fluchtwege schaffen.
Respektlos wird Mexiko behandelt, wenn Trump ein Volk pauschal als Drogendealer und Vergewaltiger diffamiert, vor dem sich Amerika schützen muss. Menschenunwürdig handeln wir, wenn wir Kriegsflüchtlinge in Auffanglagern hungern und Gewalt erleben lassen. Und mitleidslos sind wir, wenn wir verfolgten Menschen Asyl verweigern und in Krisengebiete abschieben.
Immer, wenn es ein Gastmahl mit Jesus gab, bildeten unterschiedliche Menschen eine Gemeinschaft, Arme, Reiche, Mutige, Gescheiterte, Bedürftige. Und alle teilten miteinander. Wenn Jesus zum Mahl geladen hat, hat er nicht gefragt, für wie viele es reicht. Im Vertrauen auf den Vater im Himmel hat er alle zu seinen Tisch gebeten, die bedürftig waren nach Nahrung, nach menschlicher Annahme, nach Respekt. Und da ist auch der richtige Platz für uns aus diesem reichen Land, mit Jesus an der Seite der Armen zu stehen, der Flüchtlinge und der Verfolgten, für sie Respekt einzufordern und Teilhabe an der Fülle, mit der Gott diese Welt gesegnet hat.
Dr. Elisabeth Hackstein, Prädikantin und Konventualin des Klosters Stift zum Heiligengrabe
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