Wort zur Woche
von Pfr.i.R. Johannes Kölbel
Ich kann auch anders
Neulich beim Bäcker: Ich bin sauer. Ein älterer Herr hat sich vorgedrängelt. Das hat er sehr bewusst wahrgenommen. Einen Moment lang überlege ich, ob ich deutlich mein Recht einklage. Stattdessen flüstere ich ihm ins Ohr: „Schönheit geht vor Alter!“ Er muss leicht beschämt schmunzeln.
Einer Kollegin habe ich schon im Februar eine Nachricht per Internet geschickt. Sie antwortet einfach nicht und ich denke: So scheinheilig läuft das in der Kirche ab. Nach außen gibt man sich seelsorglich; drinnen hapert es mit den sozialen Kontakten. Ich schreibe ihr nach 7 Monaten: "Liebe Kollegin, Sie haben es sicher bei den vielen Belastungen Ihres Amtes noch nicht geschafft, meine E-Mail zu beantworten..."
Sie ist mir daraufhin sehr dankbar, dass ich nachgehakt habe und entschuldigt sich. In der Sache sind wir uns schnell nahe. Es „menschelt“ halt überall, auch in der Kirche. Keiner von uns soll sein Gesicht verlieren. Ich könnte der nächste „Sünder“ sein. So wie ich Andere behandle, so will auch ich behandelt werden.
Ich merke: Es ist manchmal sehr viel sinnvoller dem Anderen betont freundlich, und nicht sofort vorwurfsvoll zu begegnen. So bleibt ihm Luft zur Reaktion. Er muss sich nicht angegriffen fühlen und Gleiches mit Gleichem vergelten.
Eine schon betagte Dame fährt im Rückwärtsgang gegen mein geparktes Auto. Der Aufprall war schon heftig. Nicht sie, sondern ihre Tochter, hat es erst später bemerkt und die Polizei nimmt den Unfall auf. Ich hätte aus der Haut fahren können, sie beschimpfen können, wie blöd man denn sein muss, im Rückwärtsgang aufzuprallen und es nicht zu merken.
Ältere Menschen sind nicht nur im Straßenverkehr empfindlich, wenn es um die eigene Wahrnehmungsfähigkeit geht. Am Ende meinte sie: So einen netten Unfallgegner hätte sie noch nicht erlebt. Ganz sicher fährt sie jetzt aufmerksamer.
Ich kann auch anders sein. Es lohnt sich dem Anderen mit Sanftmut und ein wenig Beschämung zu begegnen. Das wirkt mehr als eine vernichtende Anklage. Ich entdecke eine andere Seite in mir. Ich kann auch anders. Und schon gar nicht schießt man mit Kanonen auf Spatzen. Jesus hätte nichts dagegen mit seiner doppelten Empfehlung: „ Nimm dich selbst nicht so wichtig und achte Deinen Nächsten wie Dich selbst!“
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