Wort zur Woche
von Pfarrer Christian Gogoll
Die reizvolle Fremde
Es gab im Sommerurlaub für mich als Jugendlicher nur eines: Raus aus diesem Land für zwei, drei Wochen und mit Freunden per Anhalter bis nach Ungarn, Rumänien und Bulgarien; weiter dürften wir ja nicht...
Mit den fremden Währungen in der Tasche und der Kraxe auf dem Rücken ging es an die Landstrassen und Autobahnen der Republik. Dabei gab nur zwei feste Ziele. Zum einen die einschlägigen Plattenläden Budapests und zum anderen die vage Abmachung: „...wir treffen uns am Schwarzen Meer...“.
Das hatte schon seinen ganz besonderen Reiz, heute nicht zu wissen, wo man morgen sein müdes Haupt betten würde, welche Menschen man treffen wird und in welche fremden Landschaften man abtauchen könnte.
Auf diesen Fahrten sammelte ich besonders viele Eindrücke von Land und Leuten in der Ferne. Viele positive aber auch negative Erlebnisse fanden Platz in meinen Erinnerungen. Z.B. der große Gegensatz zwischen dem damaligen, gemessen an DDR Verhältnissen, „reichen“ Ungarn und dem „armen und rückschrittlichen“ Rumänien. Doch die Gastfreundlichkeit in diesem Rumänien war immer sprichwörtlich. Mehrmals fanden wir bei freundlichen Menschen, die sich von selbst anboten, einen Schlafplatz, dazu reichliche Bewirtung, Essen und Trinken. Sie teilten, was sie hatten und in einer solchen freundlichen Atmosphäre verstand man sich, obwohl wir die jeweiligen Landessprachen nicht beherrschten. So zogen wir durch diese Länder. Reizvoll ist das Unbekannte, das Fremde.
Später, als ich langsam sesshafter wurde, suchten wir für unseren Urlaub eine festere Bleibe, in der wir dann den ganzen Urlaub verbringen konnten. Die Fremde hatte ihren Reiz nicht verloren und so fiel die Wahl auf ein leeres altes Pfarrhaus in Siebenbürgen. Hier konnten wir bleiben und die Kontakte zu den Einheimischen und zu ihrer Lebenswirklichkeit wurden intensiver. Natürlich merkte ich schnell, dass die Einheimischen dort gar kein leichtes und einfaches Leben hatten, doch es gefiel mir dort so sehr, dass wir in der Phantasie schon Pläne schmiedeten dort für immer zu bleiben. Der Reiz der Fremde war ungebrochen und ein Gefühl von Freiheit lag in der Luft. Es taten sich Möglichkeiten vor dem inneren Auge auf, die ich in der eigenen Heimat scheinbar gar nicht hatte. Oder spielte der tiefe und innere Wunsch mit, dort wo man sich wohlfühlt, seine Zelte für immer aufzuschlagen? Sicher war auch das eine treibende innere Kraft.
Aus der nüchternen zeitlichen und räumlichen Distanz betrachtet, ist natürlich klar, dass das damals nur eine „fixe Idee“ war. Eine echte Alternative war das bestimmt nicht, wir wären immer die „Fremden“ geblieben.
Dieses ständige Suchen nach der inneren Heimat ist wohl ein Gefühl, was uns alle umtreibt, vielleicht sogar antreibt. Paradoxerweise suchen wir gerade in der Fremde, in der Ferne die innere Heimat. Gerade in der Urlaubszeit werden diese Gefühle besonders deutlich. Doch würden wir uns niederlassen, würde sich vermutlich schnell der Reiz der Fremde verflüchtigen und würden uns die allzu alltäglichen Sorgen früher oder später einholen.
Wahre Heimat zu finden, ist nicht leicht. Manchmal erhaschen wir ein kleines Stückchen davon, bevor es schnell wieder verfliegt. Im Urlaub, in der Fremde oder bei jedem Neuanfang versuchen wir es aufs Neue. Doch ist es überhaupt möglich auf dieser Erde die wahre Heimat zu finden? Paul Gerhardt stellt das mit dem bekannten Lied: „Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand...“ deutlich in Frage.
Wahre Heimat können wir nur bei Gott finden. So jedenfalls verstehe ich Paulus, der an die Gemeinde der Epheser schreibt: „Nun seid ihr nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ (Eph. 2,19)
Gott ist die wahre Heimat für uns Menschen und wir finden sie durch den Glauben an Jesus Christus, so Paulus weiter. Gott macht uns ein unglaubliches Angebot. „Wohn mit mir in einem Hause, dann findest du deine wahre Heimat und brauchst nicht an allen möglichen und unmöglichen Orten dieser Welt vergeblich zu suchen.“
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