Wort zur Woche
von Pfarrer Andreas Deckstrom
Maria durch ein Dornwald ging...
Erst neulich habe ich das Lied wieder gehört, passend zur Adventszeit. Meine Gefühle dabei waren zwiespältig. Die Melodie trägt eine gewisse Schwere in sich, die sich in der 1. Strophe wiederfindet:
„Maria durch ein Dornwald ging, der hat in sieben Jahrn kein Laub getragen.“ Das hört sich nicht ermutigend an, ein schwerer Weg liegt wohl hinter dieser Frau.
Nicht erst der Heiligabend, schon der 4. Advent widmet sich Maria, die vor allem als Mutter Jesu bekannt ist. Im Stall in Bethlehem bringt sie das Kind zur Welt, das die Hirten freudig anbeten. Maria erscheint als liebevolle Mutter in dieser ganz besonderen Nacht. So wurde sie als Vorbild verehrt, da sie die ideale Frau verkörpere. An ihren Eigenschaften wie Demut und Gehorsam sollten sich Frauen für ihr eigenes Leben orientieren. Bei solchen Zuschreibungen musste Maria lange Zeit wirklich durch „ein[en] Dornwald gehen“.
Maria erscheint in der Bibel als liebevolle Mutter, doch eine Reduzierung allein auf diese Rolle wird ihr nicht gerecht. Sie war ein Mensch mit Begabungen und Ideen, Gefühlen und Hoffnungen. Große Herausforderungen lagen vor ihr, manches Leid hat sie ertragen. Ihre Persönlichkeit, ihr fester Glaube haben es ermöglicht, dass sie manche „Dornwälder“ durchschreiten konnte. So konnte sie mit ihrem Mann Joseph den beschwerlichen Weg am Heiligabend bewältigen, als ihnen viele Türen verschlossen blieben. Und so konnte sie Jahre später unter dem Kreuz stehen, als ihr Sohn Jesus ermordet wurde. Nicht Demut oder Gehorsam hatten sie an diesen schrecklichen Ort geführt, sondern ihre bewundernswerte Stärke. Maria litt mit ihrem Sohn, während seine Jünger zuvor die Flucht ergriffen hatten…
Rollenklischees helfen nicht weiter, damals wie heute. Maria kann ein Vorbild sein, wie andere Frauen, die mit Mut und Entschlossenheit für ihre Rechte kämpfen. So verfasste die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges 1791 eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. 2 Jahre später wurde sie für ihr Engagement hingerichtet. Doch auch nach ihrem Tod verstummten die Rufe nach Gleichberechtigung nicht, so dass Veränderungen endlich möglich wurden, z. B. 1918 das Frauenwahlrecht in Deutschland.
Auch heutzutage widersetzen sich viele starke Frauen überkommenen Denkmustern, wie wir z. B. aktuell im Iran sehen können. Sie können Vorbilder für uns alle sein, ob Mann oder Frau. Sie sind Menschen mit Überzeugungen, deren Hoffnung auf eine bessere Zukunft lebendig ist.
„Sie [Maria] ist uns eine gute Freundin, Kollegin, Mitstreiterin und auch Vorbild“, sagt Schwester Susanne Schneider von „Maria 2.0“, die sich u. a. für den freien Zugang für Frauen zu allen Ämtern in der katholischen Kirche einsetzen.
„Maria durch ein Dornwald ging…“, ich fühle mit ihr. Doch ihr Weg war nicht vergebens, wie es schließlich in dem Lied weiter heißt: „Da haben die Dornen Rosen getragen.“
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Kommentar von W. Nier |
Kann eine 'liebevolle Mutter' nicht auch "Begabungen und Ideen, Gefühle und Hoffnungen" haben? ;-)