Wort zur Woche

von Pfarrer Andreas Deckstrom

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen...!

In Deutschland wird viel geredet, gedacht, diskutiert..., Gott sei Dank. Manche sind der Überzeugung, dass zu viel gesprochen und debattiert wird, bevor Entscheidungen getroffen werden, wenn überhaupt. Andere teilen diese Auffassung nicht, im Gegenteil. Sie vertreten die Position, dass viel zu wenig gesprochen wird bzw. nur bestimmte Meinungen vertreten und öffentlich artikuliert werden dürfen. Andere, alternative Meinungen würden im gesellschaftlichen Diskurs nicht vorkommen. Solche Stimmen würden absichtlich nicht gehört oder falsch wiedergegeben werden. Dadurch sei die Meinungsfreiheit bedroht oder gar schon beseitigt. Statt Meinungsfreiheit herrsche nun eine Meinungsdiktatur, also Unfreiheit statt Entfaltung in unserem Land. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…!“

Wenn ich Nachrichten schaue, dann sehe ich viele Bilder von unterschiedlichen Menschen. Ich höre vielfältige Meinungen, manche teile ich, andere nicht. Sie dürfen also vieles sagen, unabhängig davon, ob jede Äußerung den jeweils anderen genehm ist oder nicht. Im Gegenteil, Meinungsvielfalt ist ein Grundrecht und die Voraussetzung für Kreativität und Aufbruch. Also, wenn jemand eine Meinung hat, bitte gerne vortragen.

„Freiheit zur Meinung“ haben wir in Deutschland, ein aktueller Blick nach Kasachstan und viele andere Länder zeigt es eindrücklich. Aber Freiheit ohne Verantwortung kann und darf es nicht geben. Meinungen und Handlungen, die anderen Menschen schaden und das friedliche Zusammenleben stören, müssen mit allen demokratischen Mitteln widersprochen werden. Wenn z. B. vom „System“ gesprochen wird, dann hat das nichts mehr mit konstruktiver Kritik an bestimmten politischen Maßnahmen zu tun. Das Ziel dessen ist ein Staat, der Meinungsfreiheit nicht kennt und sie mit allen undemokratischen Mitteln bekämpft.

Hierzu die Erinnerungen des ehemaligen Pfarrers der Georgenkirche in Halle, Hans Hanewinckel:

„Am Abend [des 9. Novembers 1989], etwa zur gleichen Zeit, als aus Leipzig die Nachricht kam, dass dort alles friedlich verlaufen sei, wurde in Halle geprügelt und zugeführt. Unser Ansinnen, die Marktkirche im Gewaltfalle als Schutzraum besonders für Frauen und Kinder zu nutzen, wurde durch die Polizei ad absurdum geführt. Die Polizeidoppelkette trennte die Demonstrierenden. Die im inneren Teil wurden in die Kirche getrieben und waren geschützt. Der andere Teil war draußen. Und dort wurde geknüppelt, festgenommen, gejagt, geschlagen und auf Lkws geworfen. Viele wurden in die Kaserne der Transportpolizei in Reideburg gesperrt, standen über Nacht an der Wand, in Fliegerstellung und durften nicht auf Toilette, geschweige denn jemanden anrufen. Da waren Minderjährige, Frauen und Männer, Kinder und Alte.“

„Das wird man wohl noch sagen dürfen…!“, damals sind Menschen für diese Überzeugung auf die Straße gegangen. Sie haben für die „Freiheit zur Meinung“ gekämpft und wir alle sind dafür belohnt worden. Wir können und sollen heutzutage privat und öffentlich Kritik äußern, wenn es aus persönlichen und gesellschaftlichen Gründen geboten ist. Zugleich muss das immer zum Nutzen aller geschehen, friedlich und tolerant gegenüber anderen Meinungen.

„Das wird man wohl noch sagen dürfen…!“, gerne, aber was sagst du eigentlich dazu…?

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