Wort zur Woche
von Pfr.i.R. Johannes Kölbel
Der Panther auf dem Balkon
Wenn mich in der Jugend bei einem Abschied von der Liebsten die Traurigkeit überfiel, da fühlte ich mich von Rainer-Maria Rilke und schwermütigen Gedichten verstanden.
Rilke schreibt in seinem Gedicht „Der Panther. Im Jardin des Plantes, Paris“ (der botanische und zoologische Garten bei Paris): „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein.“
Dieses Gedicht hat die Schriftstellerin Marica Bodrožić so berührt, dass sie es um den Jahreswechsel 2020/2021 abends auf dem Balkon mit ihren Nachbarn im Wohnblock immer wieder gelesen hat. Sie hat gelesen, wie Musiker*innen musizierten oder Menschen applaudierten.
Der Balkon kann wie ein Käfig werden. Es ist ein Lebensgefühl, dem Panther so nahe als Mensch: eingesperrt, freiheitswillig, voller Kraft und Sehnsucht in uns. Was ist jetzt dran? Einfach los, raus und auf? Ohne Rücksicht auf Verluste? Oder braucht es noch Abstand, Geduld und Vorsicht? Diese Fragen können uns schier zerreißen. Ich spüre: Es braucht beides: Den unbändigen Willen eine neue Freiheit zu gewinnen. Und die Reise nach innen. Ich denke: Da in mir ist es nicht nur schwarz und tierisch wie der Panther. Da ist es auch hell. Da sind die Erinnerungen. Da sind Seiten, die vor Corona, von mir kaum beachtet wurden: Respekt für mich und Andere. Sanftmut neben Hochmut. Langsamkeit statt Hektik. Achtsamkeit. Bescheidenheit. Da ist ein Verbundensein mit Anderen, durch die Gitterstäbe des Lockdown.
Die Bibel sagt: Gott wohnt in uns. Und wir sind in ihm. Er ist uns ganz nah. Er lebt in uns und wir in ihm. Wie das geht? Durch eine gitterlose, grenzenlose Liebe.
Bleiben Sie göttlich beschützt und zuversichtlich!
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