Wort zur Woche

„Jesus war kein Christ, sondern ein Jude?!“ Einer meiner Religionsschüler der fünften Klasse schaut mich mit großen Augen an. Ich erkläre, dass der christliche Glaube aus dem Judentum kommt und die ersten Christen allesamt Juden waren. Christen lesen heilige Schriften der Juden, wenn sie das Alte Testament der Bibel lesen. Christliche Werte stammen aus dem Judentum. Der Schüler schaut einen Augenblick nachdenklich. Dann sagt er: „Wenn Christen und Juden so sehr miteinander verbunden sind, warum wurden dann Juden von Christen verfolgt? Sind denn dann nicht Juden und Christen Geschwister?“ Er hat ein Aha-Erlebnis. Ich freue mich darüber.

Die zu Ende gehende Woche stand im Zeichen des Israelsonntags. In allen Kirchen wurde am Sonntag der besonderen Verbundenheit mit Menschen jüdischen Glaubens gedacht. Angesichts von Jahrhunderten des Antisemitismus, der auch von religiösen Verurteilungen des Judentums gespeist wurde, ist das keine Selbstverständlichkeit, aber gerade darum umso wichtiger. Der Apostel Paulus verglich das Verhältnis der Christen zum Judentum mit einem Zweig, der in die Wurzel des Judentums eingepfropft ist. „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“, mahnt er die Christen. Der christliche Glaube zieht seinen Lebenssaft aus dieser Wurzel.

Zu den jüdischen Grundüberzeugungen gehört die Achtung eines jeden Menschen. „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde“, heißt es am Anfang der Thora bzw. im ersten Buch Mose. Gott schenkt jedem Menschen dieselbe Würde. Dieses Erbe jüdischen Glaubens hat es bis ins Grundgesetz geschafft, wo es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Die Beziehung zwischen Christentum und Judentum bedeutet einen besonderen Respekt Jüdinnen und Juden gegenüber. Zum Respekt und zur Achtung, die einem jedem Menschen gebühren, kommt eine weitergehende Verbundenheit und Dankbarkeit. Denn ohne das Volk Israel und ohne Juden wie Jesus, Petrus und Pauls gäbe es weder den christlichen Glauben noch die jüdisch-christlichen Werte, auf denen unser Miteinander nach wie vor aufbaut.