Wort zur Woche

von Pfr. Holger Frehoff

Begegnung mit dem Schwebenden

Das erste Mal begegnet bin ich ihm in Köln in der Antoniterkirche. Wer die Kirche betritt, tritt aus dem Trubel und der Hektik einer belebten Einkaufsstraße in einen Raum der Stille und Einkehr. Dort ist er zu finden – der Schwebende. Mich hat er schon damals beeindruckt. Der Schwebende ist eine Skulptur des Bildhauers, Malers und Schriftstellers Ernst Barlach. Vor 150 Jahren ist Ernst Barlach geboren worden. Der Schwebende ist eine seiner bekanntesten Skulpturen.

Die Skulptur ist so unter der Decke aufgehangen, dass sie waagerecht über dem Boden schwebt, scheinbar schwerelos, wie ein Engel. Ein langes Gewand bedeckt den Körper bis zu den nackten Füßen. Seine Arme hält der Schwebende vor der Brust gekreuzt. Der Blick ist nach vorne gewandt. Die Augen und der Mund sind geschlossen.

Seinen Ursprung hat der Schwebende in Güstrow. Dort hat Barlach seit 1910 gelebt. Er fertigte die Figur 1927 für den Güstrower Dom als Mahnmal gegen den Krieg an. Barlach hatte die Schrecken des 1. Weltkrieges erlebt und war zum überzeugten Kriegsgegner geworden. Darum schuf er mit dem Schwebenden ein Mahnmal, das nicht den Krieg verherrlicht, sondern die Menschen zum Nachdenken über die Opfer und das Leid des Krieges bewegen sollte. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Schwebende als sogenannte „entartete Kunst“ aus der Kirche entfernt und eingeschmolzen. Das originale Werkmodell konnte aber gerettet werden, so dass in den 1950er Jahren ein Nachguss des Schwebenden zunächst in Köln und dann wieder im Güstrower Dom seinen Platz fand.

Während meines Urlaubs war ich in Güstrow und besuchte im Dom den Schwebenden. Wie schon in Köln zog er mich wieder in seinen Bann. Ich spürte seine Nachdenklichkeit. Die Leiden und Schrecken des 20. Jahrhunderts hat er erlebt. Ich empfand aber auch die Kraft und Ruhe, die von ihm ausgehen. Eine ganze Weile stand ich einfach nur da und schaute ihn an. Nachdenklich und gestärkt ging ich aus der Kirche. Draußen schien die Sonne.

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