Wort zur Woche

von Dr. Elisabeth Hackstein

Was Mut macht und trägt

Wie so oft in letzter Zeit hat der heutige Tag mit dem Gang zur Nachbarin begonnen, einer guten Freundin. Gerade ist sie 92 Jahre alt geworden. Das Leben hat sie erfüllt, aber auch müde gemacht. Sie freut sich darüber, dass sie noch selbständig über ihren Alltag bestimmen kann und möchte in der eigenen Wohnung bleiben, solange es geht. Und wenn ihr Leben zu Ende geht, hat sie nur einen Wunsch, in den eigenen vier Wänden zu sterben.

Damit sie noch zuhause leben kann, braucht sie viel Unterstützung und Zeit und das schenken wir ihr, meine Nachbarinnen und ich. Meine alte Freundin sagt dann: Ihr tut so viel für mich und ich kann gar nichts mehr für euch tun. Mein Widerspruch kommt aus tiefstem Herzen, denn sie beschenkt mich reich. Wenn ich zu ihr komme, strahlt sie und ihr Lächeln lässt für mich die Sonne aufgehen. Sie freut sich über meinen Besuch und ihre Dankbarkeit wärmt mich. Zudem ist sie eine gute Lehrmeisterin. Sie lehrt mich Geduld, besonders, wenn ich mit ihr spazieren gehe. Dann braucht sie viele Pausen. Wir bleiben oft stehen und schauen auf die Blumen und Sträucher in unserem Klostergelände. Und ich, die ich oft mit forschen Schritten durch das Gelände laufe, die nächste Aufgabe oder den anstehenden Termine schon vor Augen, sehe mit dem Blick der Langsamkeit die kleinen und feinen Schönheiten der Natur, die ich sonst leicht übersehe, die verschiedenen Grüntöne der Büsche und Bäume und die immer neuen Blütenstände in den Blumenbeeten.

Ein Mutmacher ist meine Nachbarin zudem. Sie lehrt mich Annehmen, Zulassen und Gedulden. Das macht mir Mut, mein eigenes Älterwerden anzunehmen. Vor allem aber sehe ich an ihr, wie sehr der Glaube in Alter und Schwachheit trägt. Sie ist dankbar für ein langes und erfülltes Leben. Wenn sie daran denkt, dass sie einmal gehen wird, wirkt meine Nachbarin gelassen. Sie fühlt sich in Gottes Hand geborgen und vertraut darauf, dass der Tod nicht das Ende des Lebens ist sondern das Tor zu einem Leben bei Gott. Und ich? Ich denke oft: Das wünsche ich mir auch für mich, mit solcher Gelassenheit und solchem Gottvertrauen alt werden zu können.

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