Wort zur Woche
von Pfarrerin Friederike Trapp
„Es war einmal ein sehr alter und glücklicher Mann. Viele Menschen beneideten ihn, weil er ein wahrer Lebenskünstler war. Der alte Mann verließ niemals das Haus ohne eine Handvoll kleiner Steine, die er am Straßenrand gesammelt hat, mitzunehmen. Diese Steine steckte er in die rechte Tasche seiner Hose. Jedes Mal, wenn er tagsüber etwas Schönes erlebte, etwas was ihn glücklich gemacht hat, nahm er dies ganz bewusst wahr, freute sich darüber von Herzen und ließ ein Stein von der rechten Tasche in die linke gleiten.
War das Erlebnis besonders schön und gar überraschend, wechselten zwei oder drei Steine die Seite. Abends saß der alte Mann dann zu Hause und zählte die Steine aus der linken Tasche. Er feierte dies regelrecht, trank dabei ein Glas Wein und führte sich so vor Augen, wie viel Schönes ihm an diesem Tag widerfahren war. Und auch an einem Abend, an dem er bloß einen einzigen kleinen Stein zählen konnte, war der vergangene Tag ein gelungener und von der Sonne geküsster Tag – es hatte sich zu leben gelohnt."
Diese alte Geschichte, von der ich nicht weiß, woher sie kommt, mach mich glücklich. Sie macht mich dankbar. Ein Stein wechselt auch bei mir von der rechten in die linke Tasche. Diese Woche feiern wir Erntedank. Das Fest der Dankbarkeit. Praktisch, so ein Fest: Ein Mal im Jahr für alles Dankbar sein, für das man sonst keine Zeit hat?! Eigentlich schade! Wie bei dem alte Mann in der Geschichte ist es doch viel erfüllender, wenn wir uns nicht nur ein Mal im Jahr an einer bestimmten Sache freuen, sondern tagtäglich nach dem suchen, was uns dankbar werden lässt: Ein Stück Kuchen, eine Tasse Kaffee, Besuch von der Familie, eine Kastanie auf dem Weg oder das Lächeln eines Babys morgens nach dem Aufstehen.
5 Steine wechseln von der rechten in die linke Tasche und machen Lust auf mehr. Lust auf das, was mich glücklich macht, was mich dankbar macht. Nicht nur einmal im Jahr – jeden Tag. Dankbarkeit ist ein Perspektivwechsel, der sich lohnt.
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