Wort zur Woche
von Pfr. Peter Radziwill
Ausgegraben
Seit Mitte August haben künftige Archäologen auf dem Galgenhügel in Perleberg nach Zeugnisse der Vorzeit gegraben. Als Theologe grabe ich auch, aber nicht in der Erde sondern in den alten Texten des Glaubens.
Manchmal sagen mir Menschen: „Was geht mich die Geschichte an? Ich lebe heute.“ Auch Archäologen und Theologen leben heute und sie interessieren sich nicht nur für die Geschichte, weil sie wissen wollen, was früher war. Bei ihrer Suche gewinnen sie auch Einsichten, die für das Heute wichtig sind.
Von der Grabung in Perleberg habe ich gelernt: Ein Hinrichtungsplatz zeugte bis in die Neuzeit von der Bedeutung einer Stadt. Wie der Roland auf dem Marktplatz war er ein Zeichen der verliehenen Gerichtsbarkeit. Andererseits zeugt ein Galgenberg auch von der Grausamkeit der damaligen Zeit.
Möglicherweise graben die Archäologen kommender Zeiten die heutigen Zeugnisse von Hass und Gewalt aus. Aber vielleicht auch können wir - im persönlichen Leben und in der großen Politik - lernen, auf Gewalt zu verzichten.
Als Theologe grabe ich in dieser Woche an einem alten Bibeltext:
„Das geknickte Rohr wird Gott nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“
Mancher Mensch, der mir begegnet, ist durch seine Lebenserfahrungen geknickt. Manche Hoffnung, die Menschen hegen, droht zu verlöschen.
Was der Prophet vor weit über 2000 Jahren aufgeschrieben hat, ist für mich heute ebenso aktuell. Vielleicht hilft dieses alte Wort den Menschen heute, einander anzunehmen und zuzusprechen, dass niemand zerbricht oder ausgelöscht oder „in Anatolien entsorgt“ wird.
Die Ausgrabung am Galgenberg hat viel zutage gefördert. Vieles ist aber noch verborgen. So geht es mir auch, wenn ich in der Bibel grabe. Ich entdecke Neues und überraschend Aktuelles, aber es bleibt auch noch viel, was zu entdecken ist, in jeder Gegenwart neu.
Peter Radziwill
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