Wort zur Woche
von Pfr. Peter Radziwill
Sieben Wochen ohne Kneifen
Ich stehe an der Kasse im Supermarkt. Vor mir steht eine syrische Familie, die ihren Wocheneinkauf auf das Band gestapelt hat. Hinter mir mault eine Kundin: „Die kriegen alles in den Hintern gesteckt und für uns ist kein Geld da.“ Ich schweige.
Ich sitze mit Seniorinnen beim Kirchenkaffee. Es wird über die Regierungsbildung gesprochen. Eine sagt: „Die da oben denken doch nur an sich. Die betrügen uns doch nur, damit sie ihre fetten Diäten bekommen.“ Ich sage lieber nichts.
Ich lese in der Zeitung, dass eine Sprache, die die Gleichstellung der Geschlechter zum Ausdruck bringen möchte, viel schlimmer ist, als die Mängel der Deutschkenntnisse an unseren Schulen. Ich versuche nicht, mit dem Autor ins Gespräch zu kommen.
Dabei habe ich doch eine ganz andere Meinung. Aber ich kneife lieber, als mich in die Debatte zu begeben. Dabei weiß ich: Ohne Debatten, ohne Rede und Gegenrede kommt eine Gesellschaft nicht voran, weder in den Medien noch in der Kirchengemeinde und schon gar nicht in der Politik.
Darum ist es wichtig, die eigene Meinung zu sagen und ins Gespräch zu bringen. So können die anderen lernen, mich zu verstehen, und ich verstehe, was die anderen denken. So kommen wir miteinander weiter.
Dazu möchte in den Wochen vor Ostern auch die Aktion der „Sieben Wochen ohne“ der Evangelischen Kirche anregen: „Zeig dich! Sieben Wochen ohne Kneifen.“ Es geht darum, in der diesjährigen Passionszeit bewusst nicht zu schweigen, wo der eigene Standpunkt ins Gespräch gebracht werden müsste.
Die Passionszeit ist traditionell eine Fastenzeit. Die sieben Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern werden für viele Menschen zu „Sieben Wochen ohne ...“ Sie verzichten auf Süßigkeiten oder auf das Rauchen, auf Alkohol oder auf Kaffee, auf den Fernseher oder auf Wurst und Fleisch - oder sie verzichten darauf, zu kneifen und zeigen sich und ihre Position.
Sieben Wochen lang probieren sie aus, wie sich der Verzicht auf das Leben auswirkt. Manchmal ist es eine Erlösung, wenn sie nach dem Fasten wieder zur Schokolade oder zur Zigarette greifen können. Manchmal aber wirkt der Verzicht auch nach: Menschen merken, „ohne“ oder mit weniger geht es viel besser.
Vielleicht gelingt es mir, das nächste Mal doch nicht zu schweigen, an der Kasse, beim Kirchenkaffee oder wenn ich der Meinung eines anderen meine eigene Meinung entgegensetzen möchte. Und vielleicht merke ich dann, mit weniger „Kneifen“ geht es besser.
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