Predigt in der St. Jacobi Kirche am 25. Dezember 2009

von Superintendent Hans-Georg Furian

Hebr. 1, 1-3

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und von unserem Herren Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

als ich noch ein Jugendlicher war, gab es eine Fernsehshow, die mir – auch weil es eine der wenigen war – noch in Erinnerung geblieben ist. Sie wurde veranstaltet von Rudi Carell und hieß: ‚Das laufende Band‘. Diese Show ist mir eingefallen, als ich den Predigttext gelesen habe. Auch in diesem Text gleiten an unserem inneren Auge viele große Begriffe vorbei – und schließlich fragt man sich, was hängen geblieben ist; vermutlich wenig. Damit es ihnen etwas besser gelingt, habe ich Sie so eingestimmt. Versuchen Sie sich das Stichwort zu merken, dass Sie anspricht.  Im ersten Kapitel des Briefes an die Hebräer heißt es:

„Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe“ Amen

Liebe Gemeinde, den Test: ‚Was haben Sie sich gemerkt?‘, lasse ich bleiben. Ich kann nur sagen, was bei mir hängen blieb: der Text wirkt wie ein Bilanz von Weihnachten. Freilich nicht bezogen auf unsere Geschichte mit den Unsrigen, sondern auf Gottes Geschichte mit uns. Aus der – geschehenen – Mensch-werdung Gottes zieht Gott nun Bilanz. Und da zeigt sich: es gibt ein letztes Wort. Gott hat – in der Menschwerdung seines Sohnes – schon alles gesagt. Die Machtfrage ist gelöst. Was die Zukunft ausmacht, ist in Christus begründet – und was in ihm keinen Grund hat, bleibt grundlos, also willkürlich und ohne Verbindlichkeit für uns.

Über seine wahren Absichten klärt uns Gott rückhaltlos auf: dass sein Wort hält, was es verspricht: Reinigung von der Sünde und Tragen aller Dinge.

Bis zur Ewigkeit, jeder Zeit also, denn jede ist der Ewigkeit gleich nahe, bis zur Ewigkeit trägt das Wort, das Christus ist, alle Dinge. Alles erhält einen Grund.
Weil das so ist, können Menschen nach Gründen fragen. Es ist diese Form von Glauben, der aufgeklärte christliche Glaube, der die Frage nach den Gründen erst möglich macht. Wir können das nicht hoch genug schätzen. Es sind die Länder, in denen dieser Glaube zu Hause ist, die den wissenschaftlich-technischen Fortschritt der letzten dreihundert Jahre geschaffen haben. In anderen Formen des Glaubens, leider auch des christlichen, tritt an die Stelle der Frage nach den Gründen die Suche nach den Schuldigen. Das haben wir nicht nötig, denn von dem Wort, das Christus ist, hören wir, dass es alle Dinge trägt, ihnen Grund bietet. Darum können und sollen wir nach den Gründen fragen und uns nicht zufrieden geben, wenn man uns wegschickt, uns nicht für qualifiziert genug hält. Und darum dürfen wir nicht die Frage nach den Gründen hintanstellen und ersetzen durch die Suche nach den Schuldigen. Dies ist die erste Bilanz, die sich aus der Menschwerdung Gottes ziehen lässt.
 
Die weitere ist ebenso spannend. Wenn es so ist, dass Christus alle Dinge trägt, dann haben sie nicht bloß einen Grund für ihr Dasein, sondern auch ein Ziel. Hier wird eine grundlegende Einsicht erneuert, die es vor einigen Jahrhunderten flächendeckend gab: dass es nicht nur Ursachen gibt, die man in der Natur suchen und finden kann, sondern das die Dinge auch Ziele haben. Alles, was in der Schöpfung Gottes ist, hat ein Ziel: die immer enger werdende Gemeinschaft mit Gott, mit ihrem Ursprung. So dürfen wir dieses Feld heute neu eröffnen. Dürfen unsere Umwelt, unsere Freunde und Angehörigen daran erinnern, dass wir nicht bloß fragen können, was sind die Gründe und Ursachen für einen Vorgang, sondern auch, worauf zielt die Sache. Die Frage nach den Gründen – die die moderne Naturwissenschaft stellt – und die Frage nach den Zielen – die von der Theologie her in die Debatte geworfen wird, erst beide Fragen ergeben die ganze Frage. Und nur, wo diese ganze Frage gesehen wird, da nährt sich Glaube und Wissen aneinander an. Diese Annäherung ist wichtig. Denn das Wissen kann sich nicht selbst Grenzen hinsichtlich seiner Verwendung auferlegen. Heute wissen wir aber, dass wir nicht alles dürfen, was wir können. Die Naturwissenschaft braucht den Glauben, sonst wird sie blind, kennt nicht ihre Grenzen. Aber das gilt auch umgekehrt: ein Glaube, der das Wissen nur als seinen Gegensatz begreift, bleibt stumm, denn er bringt die Welt nicht mehr zur Sprache, in der Erfahrungen mit dem Glauben gemacht werden können. So sind beide: Glauben und Wissen aufeinander bezogen. Sie bilden keinen Gegensatz, sondern sind unabhängige Partner des Gespräches: was die Welt im Innersten zusammenhält. In dieser Frage nach dem Ganzen sind beide verbunden. Dass sie das nicht bloß von uns Menschen her gesehen sind, sondern auch von Gott her, das zeigt sich darin, dass Christus alle Dinge trägt.
Sein Tragen macht es möglich zu vermuten, dass alle Dinge nicht nur Ursachen haben, sondern auch auf Ziele bezogen sind; ja schließlich auf das letzte Ziel, immer näher mit Gott, ihrem Ursprung, zusammen zu sein. Weil Christus alle Dinge durch sein kräftiges Wort trägt, darum spricht viel dafür, nicht bei den Gründen und Ursachen zu bleiben, sondern sich auch danach zu fragen, welches Ziel die Schöpfung hat.
 
Für uns Menschen ist diese Frage sogar unumgänglich, denn nur mit ihr können wir danach fragen, welchen Sinn unser Leben hat. Gäbe es keine Ziele, die sich in der Natur vollziehen, dann hinge unsere Frage – schließlich sind wir Teil der Natur – in der Luft und wäre grundlos. Wir müssen aber so leben, als hätte das Leben einen Sinn. Darum dürfen wir auch glauben, dass jedes menschliche Leben Sinn finden kann.

All dies: die Frage nach den Ursachen und Gründen in der Natur, nach ihrem Ziel und schließlich die Frage danach, ob das Leben des Menschen Sinn haben kann, all diese Fragen werden erst möglich, wenn Christus durch sein Wort alle Dinge trägt. Denn dann ist klar, das am Anfang nicht der Zufall Pate stand, sondern der Wille des Schöpfers. Und nur dann ist es möglich nach Gründen für die Dinge zu fragen, nach Zielen, die ihnen gelten und schließlich auch danach, ob das Menschenleben Sinn haben kann. Denn Gottes Ziel ist es, alles in Gott, dem Ursprung aller Dinge zu versammeln.

Diesem Ziel, der Gemeinschaft mit Gott, dient dann auch die Reinigung von den Sünden. Was zunächst für unsere Ohren nicht zusammenpasst: die Vergebung der Sünden und die Schöpfung der Welt, muss zusammen gesehen werden. Nur die Vergebung macht uns fähig zur Gemeinschaft: zunächst untereinander, aber dann auch zur Gemeinschaft mit Gott. Darauf läuft am Ende alles hinaus, auf diese Gemeinschaft mit Gott.

Die Machtfrage, liebe Gemeinde, ist gelöst. Was die Zukunft ausmacht, ist in Christus begründet – und was in ihm keinen Grund hat, bleibt grundlos, also willkürlich und ohne Verbindlichkeit für uns.
Über seine wahren Absichten klärt uns Gott rückhaltlos auf: dass sein Wort hält, was es verspricht: Reinigung von der Sünde und Tragen aller Dinge.
So ordnen sich denn die großen Begriffe auf dem laufenden Band. Die Welt wird getragen, trotz aller Fragen. Und was ich von Christus halte? Dass er mich hält. Das ist die weihnachtliche Bilanz dieses Textes. Kann es größere Geschenke geben, als diese Gewissheit? Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
  

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