Moment mal
von Pfarrer Wolfgang Nier
Es gab viel Aufregung um die Neujahrspredigt der Bischöfin Käßmann. Und es zeigt sich wieder einmal: zwei herausgegriffene Sätze; verstopfte Ohren, die nur das hören, was sie hören wollen; eine politische Haltung, die aus einer Predigt nur das ausschlachtet, was für sich selbst verwertbar ist; ein Interview, dessen Fragen und Antworten kaum den zentralen Gedanken der bischöflichen Predigt tangieren – schon entsteht der Eindruck einer Predigt, die sich scheinbar massiv in das politische Geschehen einmischt.
Wer sich aber die Mühe macht, die ganze Predigt zu lesen (Predigt im Neujahrsgottesdienst in der Frauenkirche Dresden), der wird zunächst feststellen, dass dem Thema „Afghanistan“ nur ein sehr kleiner Teil der Predigt gewidmet ist. Ich suche dabei vergeblich nach der „massiven“ Kritik am Afghanistan-Einsatz, wie es der PRIGNITZER formuliert. Stattdessen finde ich eine nachdenkliche Haltung, die zwar einerseits sieht und wahrnimmt, dass gegenwärtige Lösungen eben keine wirklichen Lösungen sind, die andererseits aber eher eine Ratlosigkeit wahrnehmen läßt, als „massive“ Kritik.
Aber dort, wo die Redakteure von Zeitungen und die Unterschriftensammler und Politagitatoren der Grünen und Linken aufhören zu lesen, dort wird die Predigt erst interessant. Weil Frau Käßmann eben nicht nur Afghanistan im Blick hat, als Ort wo „Es eben nicht gut ist.“.
Sie greift das Thema „die stille Armut in Deutschland“ auf. Sie greift das Thema „Depressionen“ auf, erwähnt die unmenschliche Gnadenlosigkeit einer Gesellschaft, in der Menschen immer stark sein müssen … wo bleiben hier die Unterschriftenlisten, die Interviews, die Kommentare?
Uninteressant? An die Armut in Deutschland haben wir uns wohl gewöhnt … und über Themen zu diskutieren, die nicht vor der eigenen Haustür passieren, ist allemal schadloser, als die Themen aufzugreifen, in der mancher im eigenen Land mit beiden Beinen drin steht.
Auch an die statistisch zunehmende Krankheit der Depressionen haben wir uns gewöhnt – auch im Arbeitsraum „Kirche“. Doch das Thema tasten wir lieber nicht an, denn es könnte uns herausfordern, Arbeits-, Denk- und Lebensstrukturen neu zu überdenken.
Da macht es sich gut, auf das ferne Thema „Afghanistan“ zurückzugreifen. Das tut nicht weh, fordert nicht zum eigenen Handeln heraus und lässt sich politisch auch noch ausschlachten.
Aber so wird man dieser Predigt nicht gerecht. Sie ist etwas ganz anderes als nur eine ausschlachtbare politische Rede.
Mit dem Verweis auf die Jahreslosung ermutigt sie Menschen, in der Brüchigkeit ihres Lebens, nicht zu erschrecken, sondern an Gott festzuhalten. Und das brauchen die Menschen auch hier.
Sie ermutigt darauf zu vertrauen, dass Gott mich in den Höhen und Tiefen des Lebens begleitet. Auch das brauchen die Menschen hier.
Natürlich – sie ermutigt, selbst dazu beizutragen, dass das Erschrecken über das Unsägliche in dieser Welt kleiner wird. Durch die kleinen und doch oft so schweren Schritte in dem Lebensraum, in dem ich lebe.
Das ist natürlich für Zeitungen, Medien und Unterschriftensammler uninteressant …
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