Moment Mal
von Wilfried Schmidt
Wann mussten Sie sich das letzte Mal rechtfertigen? Vor wem? War es ein Ordnungshüter oder die Chefin? Der Ehepartner oder ein Nachbar?
Rechtfertigen müssen wir uns da, wo wir den Erwartungen anderer nicht entsprochen haben. Nun bin ich gefragt: warum hast du so gehandelt? Ich bin herausgefordert, mich ins rechte Licht zu stellen - oder zuzugeben, dass da bei mir etwas schief gelaufen ist. Doch wer gibt schon gern zu, dass er etwas „nicht recht“ gemacht hat?
Habe ich es geschafft zu erklären, kann ich durchatmen. Ich bin gerechtfertigt. Das bin ich aber auch dann, wenn mir für mein Versagen die Möglichkeit der Wiedergutmachung eingeräumt wird oder mir einfach verziehen wird.
Fast täglich kommen wir in Situationen, wo wir uns erklären müssen. Das hat das Zusammenleben von Menschen nun einmal an sich. Dazu kommt unsere Begrenztheit und Anfälligkeit für Egoismus und Bequemlichkeit. Jedoch ein gutes Miteinander nimmt mich selbstverständlich in die Pflicht, wenngleich ich ganz sicher nicht alle Erwartungen an mich erfüllen muss.
Wollen deshalb so viele Menschen mit Gott nichts zu tun haben, weil es ihnen reicht, sich vor ihren Mitmenschen rechtfertigen zu müssen. Und da braucht man dann schon gar keinen Gott, der sowieso überall da ist und alles weiß.
Das war ein großes Problem für Martin Luther. Für ihn war ganz klar: auch vor ihm muss ich mich rechtfertigen, nicht nur vor Menschen. Vor ihnen kann ich so manches verstecken oder günstig drehen. Aber bei Gott geht das nicht. Das machte ihm Angst. Aber dann entdeckte er in dem Buch, dass in einmaliger Weise von Gott und Gottes Liebe erzählt, in der Bibel: ich bin vor Gott nicht (erst) dann gerechtfertigt, wenn ich alles richtig mache oder mein Versagen ausreichend erklären kann, sondern dann, wenn ich ihm glaube, dass er zu mir steht. Dass er mich liebt, bedingungslos. Als Zeichen seiner Liebe hat er Jesus, seinen Sohn, für mich in den Tod gegeben und wieder auferweckt. Damit ist meine Schuld bezahlt und ich bin gerechtfertigt.
Ich muss mit meinen guten Taten meine Rechtfertigung nicht mehr erarbeiten. Aber weil ich mir nichts mehr verdienen muss, will ich aus Dank das tun, was gut ist. Die Freundlichkeit und Gnade, die mir in Gott und Jesus begegnet, sollen andere auch durch mich erleben können.
Das findet sich auch wieder in den Worten, die Paulus, einer der ersten christlichen Missionare, anderen Christen schrieb: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade. Siehe, jetzt ist der Tag des Heils. (2. Korintherbrief 6,2; Bibelspruch der Woche) Ich darf heil werden, weil ich nicht mehr unter dem Druck stehe, mir Liebe und Anerkennung verdienen zu müssen. Und das möchte ich gern meinen Mitmenschen weitergeben.
Sicher, Unrecht muss dennoch benannt werden! Aber es soll nicht mehr davon abhängen, ob ich jemanden achte oder nicht. Auch meinen Mitmenschen stehen Zuwendung und Wertschätzung zu, ohne, dass es gerechtfertigt sein muss. Einfach, weil auch sie und er ein Geschöpf Gottes sind und so wie ich von ihm geliebt.
Vielleicht gelingt es uns ja, das im gerade begonnenen Reformationsjahr bewusst zu leben. Denn wenn wir nächstes Jahr 500 Jahre Reformation feiern, geht es nicht nur um Luther und damals, sondern auch um mich und unser Miteinander heute.
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