Moment Mal
von Pfarrerin Anna Trapp
„Fürchtet euch nicht.“ Gerade hat die Staatsmacht ihren Freund, ihren Lehrer, ihren Anführer getötet. Sie hat ihn gefoltert und hingerichtet – als Mahnung für alle. Der Mann, den sie als Messias Israels mit der begeisterten Menge gefeiert hatten, gekrönt mit einer Dornenkrone und von den meisten verlassen, ist er gestorben. Schon bei seiner Verhaftung hatte sein engster Vertrauter jede Verbindung zu ihm geleugnet, er fürchtet sich.
Die Bewegung der Nachfolger Jesu scheint am Ende. Trauer und Furcht haben die Jüngerinnen und Jünger ergriffen. Sie kommen zum Grab um zu trauern, um Abschied zu nehmen und dann zurückzukehren in ihr altes Leben. Zurück in die Sicherheit, von der er sie damals wegberief. „Sorgt euch nicht um euer Leben,“ hatte er damals gesagt. Jetzt hatte er selbst sein Leben verloren. Seine Freunde sind alleine, verlassen, auf dem Weg zu seinem Grab. Sie erwarten nichts mehr. Jesus ist tot.
Und plötzlich erklingt eine Stimme. Das bekannte Trostwort, dass sie immer wieder von ihm gehört hatten, schallt aus dem Grab: „Fürchtet euch nicht.“ Dieser Ruf verändert alles. Erneut eine 180-Grad-Drehung für die Jüngerinnen und Jünger und ihr Leben. Nicht zurück in die Sicherheit, nicht Leben aus der Furcht, sondern Leben im Vertrauen auf Gott, auf die Macht der Liebe und der Vergebung. Nicht Hass und Vergeltung, nicht Aufgabe und Rückzug, sondern Hoffnung gegen die Prognosen, Aufstehen gegen die Lähmung, Leben gegen den Tod. Das ist die Botschaft die Ostern erfahrbar wird. „Fürchtet euch nicht.“
Leicht gesagt! Aber wie soll das gehen? Wie sollen sich die Jüngerinnen und Jünger denn nicht fürchten? Wie sollen wir uns denn nicht fürchten in diesen Zeiten? Und ist denn Furcht so falsch?
Furcht ist doch eine durchaus gesunde, menschliche Reaktion auf unbekannte Situationen, auf Unerklärliches, Bedrohliches. Jeder kennt die Furcht. Alte erzählen von ihr und Junge. Sie war zu allen Zeiten und ist auch heute gegenwärtig. Furcht kennt viele Anlässe. „Behalte ich meinen Arbeitsplatz?“ „Was wird einmal aus den Kindern?“ „Was passiert, wenn ich krank werde?“ Angesichts von Krieg und seinen Folgen, macht sich Furcht vor Terror und Gewalt mitten unter uns breit. Brennende Wohnheime, Selbstmordanschläge, sogenannte besorgte Bürger, Terroristen – ich fürchte mich. Verständlich.
Wo die Furcht groß ist, da wird schnell der Ruf nach mehr Sicherheit laut. Denn die simple Gleichung scheint: mehr Sicherheit = weniger Furcht. Also z.B. mehr Kontrollen, mehr Datenaustausch, mehr Hintergrundchecks, mehr Polizei in die Straßen, mehr Nachbarschaftspatrouillen und mehr Zäune und mehr Grenzsicherung und abriegeln, abschotten, dichtmachen. Und dann? Dann wird aus Furcht Angst. Und Angst lähmt. Angst macht unbeweglich. Angst nimmt die Freiheit und erstickt die Hoffnung.
Soweit soll es für die Frauen am Grab, für die Jüngerinnen und Jünger nicht kommen. Darum spricht der Unbekannte sie an. Sie sollen hinausgehen in die Welt, mutig und Mut machend. So weit darf es bei uns nicht kommen. Wir müssen hinaustreten in die Welt, mutig und Mut machend. Denn die christliche Osterbotschaft gilt für alle Zeiten: „Fürchtet euch nicht.“
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