Moment mal
von Superintendent Oliver Günther
Zu Beginn der Adventszeit wünsche ich Ihnen allen einen heftigen, möglichst lang anhaltenden und hartnäckigen ›krippalen‹ Infekt. Ich hoffe, dass Sie sich an der Krippe infizieren; dass Sie sich vom Kind in der Krippe anstecken lassen.
Auch diesen krippalen Infekt bekommen Sie bei Kälte – wenn Sie die Kälte in vielen menschlichen Beziehungen spüren; wenn Ihnen die Kälte des Egoismus, der Ellbogenmentalität bewusst wird; wenn Sie unter der Kälte der Freudlosigkeit Ihrer Mitmenschen leiden.
Das Ansteckungsrisiko ist groß, wenn Ihr Immunsystem nicht intakt ist – wenn Sie nicht immun sind gegen Fragen wie: »Wozu bin ich auf der Welt? Was macht mein Leben wertvoll und gut?«; wenn Sie nicht so abgehärtet sind, dass Ihnen alles gleichgültig ist. Schnell anstecken können Sie sich auch durch den Kontakt mit schon Infizierten – wenn Sie Menschen begegnen, die begeistert sind von der Sache Jesu; denen man ansieht, dass sie als erlöste und befreite Menschen leben.
Habe ich mich vielleicht schon angesteckt? – könnten Sie jetzt fragen. Wenn Sie eines der drei folgenden Symptome an Ihnen entdecken, sind Sie bereits durch das Kind in der Krippe infiziert: Schwäche: Wenn Sie eine Schwäche haben für Ihre Mitmenschen; wenn Sie sich dafür interessieren, wie es ihnen geht, worunter sie leiden, was sie brauchen; wenn Sie bereit sind zu helfen, zu teilen und aufzumuntern.
Fieber: Wenn Sie fiebernd und sehnsüchtig warten auf Gerechtigkeit und Frieden; wenn Sie sich sehnen nach Heilung und Hilfe, nach Begleitung und Zuwendung; wenn Sie brennend interessiert sind an einem gelingenden, sinnvollen Leben; wenn Sie immer mehr wissen wollen über Jesus und seine Vision vom Reich Gottes.
Schluckbeschwerden: Wenn Sie nicht mehr alles schlucken können, was an Unrecht und Lieblosigkeit in Ihrer Umgebung geschieht; wenn Sie Verletzungen und Spott nicht mehr einfach wegstecken wollen; wenn Sie sich weigern, alles hinzunehmen, was man Ihnen an Oberflächlichem und Belanglosem vorsetzt.
Und was kann ich tun, wenn das passiert ist? – könnten Sie jetzt noch fragen. Alles, was den grippalen Infekt mit ›g‹ verhindert oder bekämpft, hilft Ihnen, den krippalen Infekt mit ›k‹ zu hegen und zu pflegen: Zunächst einmal Inhalieren: den Geist Jesu immer mehr in sich aufnehmen; sich weiterhin erfüllen lassen von seinen Worten und Gedanken, von seinem Gottvertrauen und von seiner Menschenliebe; einen Hauch seiner Gelassenheit und Unbekümmertheit einatmen und wieder verströmen.
Dann eine gesunde Mischung finden zwischen Ruhe und Bewegung. Sich zum einen Ruhe gönnen: Momente der Stille einbauen in den Tages- und Wochenrhythmus; sich Zeit lassen fürs Gebet; durch das Mitfeiern der Gottesdienste bewusst den Alltagstrott und die Geschäftigkeit unterbrechen – ich weiß keine bessere Zeit, um damit anzufangen als den Advent. Sich zum anderen aber auch in Bewegung bringen: Aufstehen und Festgefahrenes, Erstarrtes hinter sich lassen; auf andere zugehen und ihnen mit der Offenheit und Weite Jesu begegnen; sie etwas spüren lassen von der Freude und der Hoffnung, die mit dem Kind in der Krippe in die Welt gekommen ist.
Eine gesegnete Adventszeit wünscht
Oliver Günther, Superintendent
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