Moment mal
von Pfarrer Tilmann Kuhn
Sehen, was dahinter liegt
Das Dritte Reich vermochte es geschickt, durch Propaganda Menschen davon zu überzeugen, für richtig zu halten, was sie tun. Im Nachhinein sträuben sich uns die Haare, wenn wir darauf schauen. So gab es eine illustrierte Zeitung, die, kaum gleichgeschaltet, ins Bild setzte, was alle für richtig halten sollten. In einer Ausgabe wurde ein Dorf vorgestellt, für das ich in meiner ersten Pfarrstelle zuständig war. Ganz im Sinne der ‚Blut-und-Boden’-Ideologie wurde es als ein urgermanisches Dorf dargestellt, obwohl es wesentlich wendische, also slawische Wurzeln hatte. Neben vielen anderen Fotos war ein Foto vom Dorfanger zu sehen, auf dem ein Galgen aufgestellt war. An dem Galgen hing eine Strohpuppe. Nun gab es im Mittelalter an vielen Orten Hinrichtungsplätze, die heute oftmals noch den Namen Galgenberg tragen. Auf dem Foto allerdings ging es nicht um eine historisierende Reminiszenz. Die Strohpuppe hatte ein Schild umgehängt bekommen, auf dem deutlich lesbar stand: ‚Wer Hitler kränkt wird gehenkt!’. Das war kein Fasching, das war kein Vergnügen. Das war klare politische Aussage, die darauf abzielte, Kritikern Angst zu machen und die Bevölkerung an das Gebaren eines mörderischen Regimes zu gewöhnen. Durch die massenhafte Verbreitung mittels einer illustrierten Zeitung gelangten dieses und ähnliche Bilder in die Köpfe und Vorstellungen vieler Menschen. Und die Neue Illustrierte Zeitung war noch eines der weniger schlimmen Blätter!
Wäre es weniger schlimm gewesen, wenn die gehenkte Strohpuppe kein Schild umgehängt bekommen hätte? Könnte man das dann als einen Scherz verbuchen?
Viele symbolische Handlungen werden auch heute überall gezeigt, am häufigsten das Zerreißen oder Verbrennen der gegnerischen Fahne. Alle haben die Möglichkeit, symbolische Handlungen auszuführen, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, vom ‚Vogelzeigen’ über den ‚Stinkfinger’ bis zu den verbotenen Gesten, die sofort das Gesetz und seine Hüter auf den Plan rufen. Welche Gesten und Symbole aber tragen zum Frieden und zum guten Miteinander bei?
Mir tut in dieser Hinsicht das Händereichen gut. Es verbindet, schafft Berührung und signalisiert Offenheit füreinander. Und auch, wenn wir die verschränkten Hände vor der Wende als ein politisches Symbol kannten, das eine Ausgrenzung all derer signalisierte, die sich nicht ergreifen und einbinden lassen wollten, so kann solche politische Instrumentalisierung doch nicht den guten Sinn des Händereichens zunichte machen, der dahinter liegt.
Noch besser allerdings finde ich die segnende Geste der Hände. In der Handauflegung wie auch in den priesterlich erhobenen Händen findet eine Verbindung zu Gott statt, die von ihm ausgeht und zum Leben der Einzelnen und der Versammelten hilft.
Da fällt mir ein: unsere Zeitung brachte am 02.05.2014 auf der Titelseite eine Bilderfolge von der Verbrennung einer Strohpuppe auf einem Scheiterhaufen in der Walpurgisnacht. Die Schlagzeile dazu lautete: ‚Warum die Hexe brennt’. Ja, warum wohl? Und wer schichtet den Scheiterhaufen auf? Und wer steckt ihn in Brand?
Uns Christen ist ins Stammbuch geschrieben, zu unterscheiden zwischen dem, was gut ist, und dem, was böse ist. Im ersten Thessalonicherbrief schreibt Paulus: Prüft aber alles, und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt. Wir verkennen nicht, daß Christen beteiligt waren an mittelalterlichem Hexenwahn und Hexenverfolgung. Wir bekennen dies als einen Teil unserer historischen Schuld und bedürfen dafür der Vergebung Gottes. Wir sehen aber darauf, daß aus dem Christentum die Kraft erwuchs, den Wahn zu überwinden, der uns heute so mittelalterlich anmutet. Und wir versuchen, zu unterscheiden, was dem Leben und der Würde des Menschen hilfreich ist und was nicht. Eine symbolische Hexenverbrennung jedenfalls ganz bestimmt nicht.
Einen Kommentar schreiben