Moment mal
von Superintendent Oliver Günther
Was ist Wahrheit?
Das ist eine gute Frage, die der römische Prokurator Pontius Pilatus stellt. Was ist Wahrheit? Die Wahrheit hat es schwer. Denn nichts ist so subjektiv wie die Wahrheit. Jeder scheint so seine ganz eigene Wahrheit zu haben, weil jeder Mensch die Welt mit anderen, eben den eigenen Augen sieht. Außerdem tut die Wahrheit manchmal richtig weh. Deshalb wollen viele die Wahrheit gar nicht erst hören und können sie auch nicht vertragen.
Es ist in der Tat eine gute Frage – die Frage nach der Wahrheit. Da wirkt das rechtsstaatliche Urteil des Landgerichts in München gegen den Steuerbetrüger Uli Hoeneß fast wie eine Wohltat. Das Urteil ist rechtskräftig. Der Ex-Bayern-Boss muss seine Haftstrafe antreten und für seine steuerrechtlichen Verfehlungen drei Jahre und sechs Monate büßen. Recht so! Der Moralapostel, der einstmals mit erhobenem Zeigefinger gegen Börsenzockerei und Devisenspekulanten wetterte, erlebt nun den freien Fall. Die Wahrheit hat sich durchgesetzt. Wirklich? Vermutlich bleibt nun die ganze Wahrheit im Verborgenen. Da auch die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet hat, bleiben viele Fragen offen. Und um wie viel Geld es in Wahrheit geht, bleibt vorerst ein Geheimnis. Nichts als die reine Wahrheit – das wäre für Hoeneß wahrscheinlich der Untergang. Nach kurzer Zeit im Knast geht es in den offenen Vollzug, und nach gut einem Jahr ist der Spuk vorbei.
Was ist Wahrheit? Diese alte Frage aus dem Neuen Testament im Prozess gegen Jesus von Nazareth ist zeitlos und von einer Tiefe, die es denen schwer macht, die es sich allzu einfach machen wollen. Für die Ankläger ist die Sache klar: Jesus ist ein Gotteslästerer, ein Unruhestifter. Er ist ihnen und ihrer guten Ordnung ein Dorn im Auge. Es geht um Macht. Und deshalb muss Jesus weg. Alle Welt läuft ihm nach. Er ist zu einer echten Gefahr geworden. Das religiöse Etablissement gerät mehr und mehr unter Druck. In der verbalen und auch in der juristischen Auseinandersetzung mit diesem Wanderprediger müssen sie immer wieder den Erklärungsnotstand ausrufen. Geistliche und geistige Besitzstandswahrung werden immer schwieriger. Es gibt keinen Ausweg: Jesus muss sterben! Aber das geht nur mit den verhassten Römern. Wollen sie Jesus beseitigen, müssen sie mit Pilatus zusammenarbeiten. Nur er ist als römischer Prokurator berechtigt, ein Todesurteil zu verhängen. Und Pilatus? Er stellt seine Frage: Was ist Wahrheit? Das macht den Römer fast schon wieder sympathisch. Er scheint wirklich ein Interesse an der Wahrheit zu haben. Aber das lässt sich auch für ihn nicht durchhalten. Es ist wie so oft im Leben: Pilatus fällt um. Am Ende geht es auch um seine Macht. Der Pöbel auf der Straße tobt. Sie wollen Jesus sterben sehen. Pilatus gibt am Ende nach. Die Wahrheitssuche und -liebe hält den persönlichen Interessen der Macht nicht dauerhaft stand.
Wie halten wir es nun mit der Wahrheit? Glauben wir auch, dass der Ehrliche am Ende immer der Dumme ist, oder hoffen wir, dass Ehrlichkeit am längsten währt?
Die Passionszeit ist eine gute Gelegenheit, nach der Wahrheit zu fragen, Wahrhaftigkeit zu versuchen und dem Glauben an das Gute im Menschen eine neue Chance zu geben. Das gilt übrigens auch für Uli Hoeneß.
Oliver Günther, Superintendent im Kirchenkreis Prignitz
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