Moment mal
von Pfarrer i.R. Reinhard Worch
Vom Wasser haben wir’s gelernt, vom Wasser...
Wenn dieser Tage singend ein Tourist mit diesem bekannten Vers auf den Lippen über den Deich daher käme, den Deichläufern entgegen, zwischen Soldaten hindurch, die mit letzter Anstrengung versuchen, den Schutzwall zu erhöhen, „verrückt“, würde man sagen! Absurd, dass da ein fröhlicher Wanderer bei Sonnenschein und blauem Himmel die Landschaft und den vorbeiziehenden Strom genießt, während die anderen versuchen, zu schützen und zu retten, was zu retten ist.
Man hat das Lied ja im Ohr: „Vom Wasser haben wir’s gelernt. Das hat nicht Ruh bei Tag und Nacht, ist stets auf Wanderschaft bedacht, das Wasser....“ Doch die „Wanderschaft“ des Stromes hat sich inzwischen zu einer Flutwelle entwickelt, die uns Beine macht. Da denkt niemand an einen beschwingten Ausflug.
Dennoch erlebe ich dieser Tage in vielen Situationen diese Widersprüchlichkeit. Die verheerenden Überschwemmungen an der Donau vor Augen, bemühe ich mich mit vielen anderen, Sandsack um Sandsack zu füllen. Da kommen die Schulklassen in guter Laune. Von den Handys tönt die Musik. Die Jungen erobern die Sandberge und schon fliegen mir von oben die Säcke zu. Wir stapeln sie auf die Paletten. Mit Lust und Freude ging’s unter sonnigem Himmel zügig voran. Da fiel mir zu ersten Mal ein: “Vom Wasser haben wir’s gelernt.“
Später höre ich, dass jugendlichen Helfern die Räder gestohlen wurden. Uneigennützig versuchen die einen zu helfen, schamlos nutzen andere jede Gelegenheit aus. Glück und Unglück, Gutwillige wie Gauner haben eben nicht „Ruh bei Tag und Nacht“. In einer solchen Situation trifft alles zusammen.
Zweihundert Meter von unserem Garten entfernt hat sich der Strom bedrohlich erhoben. Wasser die Fülle. Aber ich stehe mit dem Gartenschlauch und begieße den bereits völlig ausgetrockneten Boden, damit die Neuanpflanzungen nicht vertrocknen. Welch ein Widerspruch!
Viele, die eine mögliche Notlage vor Augen haben, stehen in dieser Spannung von Hoffnung und Ängsten. Sie registrieren solche Widersprüchlichkeiten besonders sensibel.
Am Wochenende sollte das Sommerfest der Kirchengemeinde stattfinden. Vor langer Zeit wurde das Thema geplant: „Gott wie das Wasser, die Quelle des Lebens.“ Es musste abgesagt werden, weil das Wasser in diesem Augenblick für uns zur Gefahr geworden ist. Da haben wir’s! Es kann vom Wasser gelernt werden, wie dicht Freude und Entsetzen, Fülle und Mangel, Leben und Verderben, Gott und das Böse beieinander liegen.
Die Bibel erinnert uns schon immer daran, dass Wasser zugleich Leben und Tod bedeuten kann. Denn Wasser ist die Quelle des Lebens. Ohne Wasser, das wissen die Menschen in Palästina seit Urzeiten, gibt es zum Überleben keine Chance. Eine der sehnlichsten Bitten in den Psalmen ist, dass Gott mich zum frischen Wasser führt (Psalm 23). Da ist das Wasser zum Zeichen für alles geworden, was das Leben erhält und lebenswert macht. Doch wehe, wenn die Urwasser aus den Bahnen geraten. Dann können sie alles Leben wie bei der Sintflut vernichten. Und sie werden zum Sinnbild dessen, was Menschen ins Verderben stürzen kann. Voller Verzweiflung schreit der Beter (Psalm 69): „Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen. Ich habe mich müde geschrieen. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.“
Nun vernehme ich das Lied des fröhlichen Wanderers auf dem Elbedeich anders. Es ist eine sehr ernste Mahnung, vom Wasser zu lernen. Denn es steht einiges, wenn auch nicht alles, in unseren Kräften das Unglück vom Glück, nicht nur bei der Flut, zu trennen. So wie wir es den vielen Helfen danken, dass sie alles Erdenkliche versuchen, um uns vor Schlimmem zu bewahren.
Reinhard Worch
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