Moment mal
von Pfarrer Tilmann Kuhn
Kind werden für's Leben
Seit einiger Zeit denke ich öfter über das Wort Jesu nach, das er zu seinen Jüngern sagte: ,Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.' (Mt 18,3) Was können Kinder besser, als wir Erwachsenen, um das es Jesus geht?
Kinder sind laut. Wer mit Kindern täglich umzugehen hat, weiß ein Lied davon zu singen: Eltern, Erzieher und Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen, auch Pfarrer und Pfarrerinnen. Oft unterbrechen Kinder Gespräche, unterminieren sie die Konzentration auf Wesentliches oder sie verlangen uns ab, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Andererseits machen wir die Erfahrung auch unter Erwachsenen, daß, wer am lautesten sich zu Wort meldet, am meisten Beachtung findet. Vielleicht müssen Kinder so laut sein, um genügend Beachtung zu finden in einer Gegenwart, die permanent Geräusche erzeugt mit Maschinen, Motoren und Lautsprechern? Es wäre also ein Gedanke, sich um die Beachtung Gottes zu bemühen, dem Jesus mit seiner Aufforderung Geltung verschafft. Etwa so: nimm deine Bedürfnisse wahr und bringe sie ins Spiel!
Kinder spielen. Als Erwachsene haben wir gelernt, das Spiel vom Ernst des Lebens zu trennen. Trotzdem lassen wir uns von Spielleidenschaft anstecken, von Fußball oder Olympischen Spielen oder Skat. Die Möglichkeiten, zu spielen, sind unerschöpflich. Ob der Herr selbst hin und wieder zu Karten oder Würfeln greift? Es könnte sein, daß er den Menschen auch in seiner Lust zu spielen nach seinem Bild geschaffen hat. Jedenfalls ist jedes Spiel eine Möglichkeit, etwas mehr vom Leben zu begreifen und sich dafür auszuprobieren. Eine Pädagogik, die einen solchen Ansatz integriert, ist in der Regel erfolgreicher, als eine spielarme Pädagogik. Es wäre doch ein guter Gedanke, daß Gott uns das Spiel geschenkt hat, um etwas über ihn zu lernen. Etwa so: lebe spielerisch, so ist dir Gott nicht fern!
Kinder sind neugierig. Die ganze Welt um sie herum ist voller Geheimnisse. Es gilt, sie zu entdecken. Interessanterweise stellen wir in der Regel irgendwann fest, daß es keine Geheimnisse mehr gibt. Oder besser, daß wir nicht mehr erwarten, daß es sie noch geben könnte. Einige Geheimnisse haben wir tatsächlich entdeckt und dazu genug Erfahrungen gemacht, um beurteilen zu können, was real ist und was nicht. Zum einen nimmt das eine ganze Menge von Ängsten vor dem Unbekannten. Zum anderen geht damit viel von dem Glanz verloren, der die Welt aus der Sicht von Kindern umgibt. Scheuen wir uns, von dem Glanz und der Herrlichkeit Gottes zu sprechen, weil wir den Blick dafür verlernt haben? Vielleicht lädt Jesus dazu ein, wieder darauf aufmerksam zu werden, wie die Herrlichkeit Gottes aufscheint in der realen Welt. Etwa so: laß zu, daß Gottes Licht in dein Leben hell hineinstrahlt.
Kinder sind anpassungsfähig. Sie lernen schnell, sich den Bedingungen unserer Welt anzupassen. Ich erlebe es gegenwärtig an meinem jüngsten Sohn. Die heile Welt einer intakten Familie ist für ihn nicht mehr vorhanden. Dennoch liebt er seine Eltern und findet bei beiden eine jeweilige Wirklichkeit vor, in der er in Würde und von Liebe getragen aufwachsen kann. An den Brüchen unseres Lebens nicht zu zerbrechen ist ganz sicher auch ein Teil der Botschaft Jesu. Überleben unter unterschiedlichsten Bedingungen als Aufgabenstellung macht uns bereit für die kommende Wirklichkeit. Das Himmelreich als ihre Beschreibung kann auch vom schlimmsten Lebensbruch nicht zerstört werden, vom Tod. So ist Jesu Wort von dem ,Kindwerden' ohne Frage ein Lebenswort.
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