Moment mal
von Wilfried Schmidt
Im Moment scheint mal wieder die Sonne. In dieser Jahreszeit nehme ich es in besonderer Weise wahr, weil sie von Wolken, Wind und Regen oft verdrängt wird und ohnehin nicht so lange am Himmel steht. So ist es im Herbst. Da freut man sich um so mehr auf das nach Hause Kommen, auf den warmen Tee oder Kaffee bei Kerzenschein in der gemütlichen Stube. Man geht vielleicht auch nicht mehr so oft raus und beschränkt sich auf das Nötigste. Hinzu kommt bei älteren Menschen die Angst, unterwegs bestohlen zu werden. Dann bleibt man sowie so im Haus, wenn es schummrig wird. Zu Hause ist man ja relativ sicher. Wenn dann jeder Schritt schwer fällt und auch der Kontakt zu den Nachbarn nicht eng ist, geht das bei vielen einher mit dem Gefühl der Einsamkeit. Das trifft junge und alte Menschen.
Wir leben in einer Welt, in der wir über Telefon, Handy und Internet gut vernetzt sind. Dennoch fühlen sich viele Menschen einsam und warten auf Besuch oder eine Einladung. Warten auf jemanden, der sich Zeit für sie nimmt. Doch auch inmitten vieler Menschen kann man einsam sein, weil man keinen Menschen hat, der sich für einen persönlich interessiert: beim Einkaufen, auf der Arbeit, in der Schule.
So ist Einsamkeit zu einem ernsten Thema geworden. Die Gruppe PUR schrieb dazu z.B. das Lied „Allein vor dem Spiegel“. Es wird deutlich, wie verlassen, wie wertlos sich Menschen vorkommen, die mit Einsamkeit zu kämpfen haben. Doch ist mir das Lied auch Motivation, die Menschen um mich herum bewusster wahrzunehmen. Wo braucht jemand ein aufmunterndes Wort, einen freundlichen Blick? Wo sollte ich mir vielleicht auch mehr Zeit nehmen für einen Menschen, meinen Plan hintenan stellen und ihm zuhören? Sicher geht es nicht immer, sich unterbrechen zu lassen in dem, was man sich vorgenommen hat. Aber es ist doch öfter möglich, als ich auf den ersten Blick für möglich halte. Und wenn ich jetzt nicht Zeit habe, kann ich ja heute Abend mal anrufen und fragen, wie es geht. Vielleicht kann ich ja auch einen Termin für einen Besuch ausmachen.
Wenn ich das PUR-Lied weiterlese, entdecke ich auch die Herausforderung: Was kann ich selbst gegen meine Einsamkeit tun? Mancher steht sich da vielleicht selber im Weg.
Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, wohnte auch in der Zeit meines Studiums immer in einem Mehrbettenzimmer. Danach in meinem Praktikum wohnte ich allein in einem riesigen Haus. Da kam so manches Mal auch das Gefühl der Einsamkeit. Einen Abend hatte ich deshalb keine Lust, zum Posaunenchor zu gehen: „Danach bist du ja wieder allein zu Haus!“ Aber ich überwand meinen „Schweinehund“ (und vielleicht auch mein Selbstmitleid?) und ging. Und kehrte später als ein froher Mensch in mein Alleinsein zurück.
Nicht jeder kann so seine Wohnung verlassen. Manchmal reicht schon ein Anruf, um einen Weg aus der eigenen Einsamkeit zu finden. Ich darf mich bei meinen Mitmenschen bemerkbar machen, darf ihnen sagen, dass ich sie brauche, und wenn es „nur“ für einen Kaffeeplausch ist.
Jesus legt es uns aufs Herz, den anderen im Blick zu haben. Gerade auch den Unscheinbaren, den, der sich nicht so gut verkaufen oder in den Mittelpunkt stellen kann. Jesus wird schon dafür sorgen, dass ich selbst dann nicht zu kurz komme. Er gibt auch die Kraft, Schritte aus der eigenen Einsamkeit zu gehen, neue Zuversicht zu fassen und er ist da, auch wo kein Mensch mich sieht. Er hat es versprochen: „Ich lasse dich nicht fallen und ich verlasse dich nicht.“ Darauf können wir uns verlassen – auch wenn wir uns verlassen fühlen. Er ist da. Nicht weiter weg als ein Gebet.
Wilfried Schmidt
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