Moment mal
von Pfarrer i.R. Reinhard Worch
Goldene Konfirmation – ein Auslaufmodell
So ist es. Die Zeiten ändern sich. Neues entsteht und alte Traditionen gehen zu Ende. Manche verschwinden abrupt, andere klingen leise aus. „Goldene Konfirmation“, was war das für ein Ereignis, als ich hier in Wittenberge Mitte der siebziger Jahre die ersten Feiern erlebt. Jubilare, die noch in Wittenberge zu Hause waren, engagierten sich für das Treffen. Sie sichteten manchmal sogar Jahre vorher die Kirchenbücher, machten selbst verschollen geglaubte Mitschüler ausfindig, sammelten Adressen und organisierten den Briefverkehr.
Neben dem Festgottesdienst traf man sich anlässlich des Jubiläums zur Kaffeetafel im Gemeindehaus. Widersehensfreude, Austausch von Erinnerungen und Geschichten, die das Leben schrieb, wurden mit bewegter Fröhlichkeit und manchmal mit stiller Dankbarkeit ausgetauscht. Eine besondere politische Note bekam die Goldene Konfirmation dadurch, dass wir als Gemeinde freiweg auch die ehemaligen Wittenberger aus Westdeutschland einluden. Nicht wenige kamen und viele trafen ihre ehemaligen Altersgenossen das erste Mal.
In der letzten Zeit ist es ruhiger geworden. Das Fest hat trotz der geringer werdenden Teilnehmer aus den verschiedenen Jahrgängen nichts an seiner würdevollen Ausstrahlung verloren. Gerade Jubilare, die nicht mehr zur Kirche gehören und zum Gottesdienst und zur anschließenden Feier eingeladen waren, sind stets beeindruckt von der besinnlichen Atmosphäre und die ermutigende Fröhlichkeit dieses Tages. Allerdings zeigt man sich darüber enttäuscht, dass man so wenigen der ehemaligen Mitkonfirmanden begegnete. Denn der Kreis ist kleiner geworden, obwohl seit vielen Jahren nicht nur das fünfzigste Jahresfest begangen wird, sondern ehemalige Konfirmanden ihr 60., 70., sogar 80. Jubiläum mit uns feiern. Ist die Goldene Konfirmation, ein Auslaufmodell?
Der Grund für die schwindende Beteiligung an diesem Fest liegt darin, dass Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre die Zahl der Konfirmierten drastisch schwand. Staat und Parteiführung in der DDR haben in dieser Zeit sehr viel Druck auf Lehrer und Elternhäuser ausgeübt, um die Beteiligung an der Jugendweihe zu erzwingen. Es ging nicht nur darum, eine Alternative für atheistisch gebundene Familien anzubieten. Die Jugendweihe wurde dazu missbraucht, Kirchen aus der Gesellschaft auszuhebeln und das Christentum als überholtes religiöses Relikt, ja Delikt vergangener Gesellschaftsepochen zu verunglimpfen.
W. Ulbricht sprach 1957 davon, mit der Jugendweihe „überlebte alte Glaubenssätze über Bord zu werfen“. Das war das Ziel. Deshalb wurde Kindern, die keine Jugendweihe hatten, der Zugang zur Oberschule (jetzt Gymnasium) oder zum Studium verweigert. Eltern schränkte man massiv in ihrer beruflichen Fortentwicklung ein. Oft wurden sie einer staatsfeindlichen und antisozialistischen Haltung bezichtigt, obwohl sie sich an anderen Stellen gesellschaftlich engagierten. Der eigentliche Grund für ihre Verweigerung war, dass sie sich von ihrer Glaubensüberzeugung her nicht dem ideologischen Totalitätsanspruch einer Partei beugen konnten. Diese Haltung hängt unmittelbar dem ersten Gebot, das alle Konfirmanden lernen, zusammen: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollt keine anderen Götter neben mir haben.“ Außerdem war uns als Christen bewusst, dass wir nicht hinter ein mutiges Bekenntnis, das Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller zusammen mit anderen 1934 in Barmen gegen den Machtanspruch der Nationalsozialisten formuliert haben, zurücktreten konnten. Sie sagten damals, und es gilt zu allen Zeiten: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu Eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“ Das damalige Jugendweihegelöbnis konnten Christen, die den Wortlaut ernst nahmen, weder mit ihrem Glauben noch mit ihrer Vorstellung von demokratischer Freiheit vereinbaren und nahmen lieber Nachteile in Kauf. Obwohl auch Kompromisse geschlossen wurden, die Konfirmandengruppen wurden kleiner und das macht sich gerade jetzt anlässlich der Jubiläen bemerkbar. Aber wir feiern trotzdem. Die Kirche ist so schön, wie sie zur Konfirmation vor fünfzig Jahren nicht war. Wir gedenken und danken, teilen die Sorgen und machen uns Mut. „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, bin ich mitten unter ihnen.“, sagt Jesus.
Traditionen können „auslaufen“ – zu Ende gehen. Wichtig ist, dass man sich auf das besinnt, was uns auch heute noch gegen fremde Machtansprüche, politische oder wirtschaftliche Zwänge stark machen kann. Konfirmation heißt : “Befestigung“. Darauf kommt es an: Befestigt zu sein im Glauben an Gott, um nicht zum Spielball fremder Interessen zu werden. Denn diese Gefahr wird immer größer.
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