Moment mal
von Pfarrer Rudolf Klehmet
Judas’ Geschichte
Wenn man mit Schülern die Passionsgeschichte der Bibel liest, ist es ungewohnt still. Jesu letzter Weg ans Kreuz- er beeindruckt die Menschen bis heute. Und so ziehen bis heute Hunderte in der Karfreitagspassion in Jerusalem die Via Dolorosa entlang hinaus nach Golgatha, dorthin, wo Jesus damals gekreuzigt wurde und qualvoll starb. Schweigend, singend, betend, große und kleine Kreuze tragend- so ziehen sie an den Tausenden von Pilgern aus aller Welt vorbei, die den Straßenrand säumen.
Obwohl Jesu Kreuzigung fast 2000 Jahre zurückliegt, können sich die Menschen noch immer nicht beruhigen... Und stets scheint ihnen, das wäre buchstäblich gestern gewesen, so frisch ist ihre Erschütterung“, hat Aitmatow, der kirgisische Schriftsteller, einmal geschrieben. Und so stehen sie alljährlich vor uns, die großen Gestalten der Passionsgeschichte: die Pharisäer und Schriftgelehrten, denen der Wanderprediger aus Nazareth schon lange ein Dorn im Auge war und die nun sagen: Es ist besser, dass dieser stirbt, als das dass ganze Volk verdirbt. Der römische Statthalter Pontius Pilatus, der Jesus zum Tode verurteilt und doch sagt: Ich wasche meine Hände in Unschuld. Das Volk, das Jesus erst einige Tage zuvor bei seinem Einzug zugejubelt hatte und nun schreit: Kreuzige ihn, kreuzige ihn! Die fliehenden Jünger und die trauernden Frauen unter dem Kreuz. Petrus, der Jesus so nahe stand und dann einfach lügt und sagt. Ich kenne diesen Menschen nicht. Und Judas. Er verrät den verhaftenden Soldaten für 30 Silberlinge Jesu Aufenthaltsort, so können wir es lesen.
Ja, Judas. Er kommt in den Evangelien schlecht weg. Durch die Kirchengeschichte hindurch wurde er geschmäht und verachtet. Und eine lange, schlimme Wirkungsgeschichte schloss sich an. Judas- das waren d i e Juden, und die Juden sind Gottesmörder. Mit dieser Deutung und Festlegung sind durch die Jahrhunderte hindurch die Juden immer wieder verfolgt worden bis zum schlimmen Holocaust des 20. Jhs. Aber Judas, der einmal so begeistert von Jesus war, hat nicht so gehandelt, weil er Jude war. Sondern er hat- sozusagen aus enttäuschter Liebe- so gehandelt, weil seine Erwartung, dass Jesus sich an die Spitze eines Aufstandes gegen die Römer stellen würde, nicht erfüllt wurde. Aus Scham über seinen Verrat hat er sich schließlich das Leben genommen. Eine menschliche Tragödie, die die Evangelien hier schildern. Judas ist an seiner menschlichen Schwäche gescheitert; sein Verrat hatte nichts mit seiner Volkszugehörigkeit oder seiner religiösen Bindung zu tun. Sondern so, wie Menschen bis heute schwach werden, andere zu bespitzeln, zu denunzieren oder gar ans Messer liefern, so hat es Judas dazu getrieben, Jesus zu verraten. Jesu Leidensgeschichte- sie zeigt uns den Menschen immer wieder, wie er ist: in Liebe und Enttäuschung, in Hass und Verrat und Spott. Sie zeigt uns bis heute den Menschen in allen seinen Bezügen.
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