Moment mal
von Pfarrer i.R. Reinhard Worch
Die Psalmen - ein Juwel der Weltliteratur
Unberstritten gehört das „Gesangbuch“ in der Bibel, die Psalmen, zu den großen Dichtungen der Menschheit. Ähnlich wie ein Volksliederbuch fasst der Psalter Lieder zusammen, die meist von unbekannten Dichtern aus mehreren Jahrhunderten stammen, die ältesten sind über 2600 Jahre alt. Seitdem die Liedersammlung aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt wurde, nennt man sie “die Psalmen“, also Lieder zur Saitenspielbegleitung mit einem Psalterium, einem harfenähnlichen Instrument.
Im Unterschied zu vielen anderen großen literarischen Werken aus längst vergangenen Zeiten, spielt diese Dichtung im persönlichen Leben vieler Menschen, besonders von Juden und Christen eine große Rolle. Sie dienen dem Beter wie dem Grübler als reiche Quelle des Nachdenkens über Gott. Dem Suchenden verleihen sie eine Sprache, lassen den Ratlosen Worte des Trostes finden und ermutigen den Fröhlichen zu singen. Bis in unsere Zeit hinein orientieren sich die Dichter an der Form und Sprache der Psalmen. So entdeckte auch Bertold Brecht die Psalmen für seine Lyrik. Er fand, dass in den Psalmen irdische Lüste und Sorgen in besonderer Weise ausgedrückt würden.
Diese uralte Dichtung wirkt also bis in unsere Tage fort und findet nicht nur in Kirchenliedern neue Gestalt. Vom gregorianischen Mönchsgesang bis hin zum Jazz werden die Psalmen vertont.
Was zieht Gläubige und Zweifler, Dichterinnen und Musiker, einfache Menschen und Philosophen, Arbeiter und Wissenschaftlerinnen immer wider an, sich mit den Psalmen zu beschäftigen?
Die besondere Bedeutung des Psalters liegt in seiner Nähe zu unseren menschlichen Gefühlen. Man spürt den dichterischen Worten ab, dass hinter ihnen die schönsten und größten und zugleich tiefsten und schwersten menschlichen Erfahrungen stecken. Die Beter der Psalmen halten sich freilich zurück und geben nicht genau zu erkennen, was ihre Not ist oder ihr Glück ausmacht. Doch gerade diese Offenheit trägt dazu bei, dass sich Menschen zu allen Zeiten und mit ihren ganz verschiedenen, innersten Anliegen in den Gedanken der Psalmen wieder finden. Das kann auch der Beter heute. Er kann sich sozusagen hineinbegeben in einen Raum der Zuwendung und aus einem Schatz von Gedanken und Empfindungen, das in Worte fassen, was unaussprechlich schien, was lange im Unbewussten verborgen blieb, was dem Ungeordneten der Gefühle eine Struktur gibt und ihm dadurch sogar Wege und Auswege zeigen kann.
Mit den Lobpsalmen kann man der Freude über das Schöne und über all die großen und kleinen Wunder in dieser Welt Ausdruck verleihen und sein Herz zum Lobe Gottes öffnen. In den Klagepsalmen kommen die Suchenden zu Wort. Auch dem Zweifler schenken die Psalmen ihre Stimme. Denn das Leben ist nicht nur Sonnenschein. Bis zu Anklage gegenüber Gott steigert sich der Beter in den Psalm:“ Wie lange willst du mich vergessen und wie lange versteckst du, Gott, dich vor mir?“ (Ps. 13) Und wie viele Menschen haben mit Worten des bekanntesten Psalms in ausweglosen Stunden Mut geschöpft: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn DU bist bei mir.“ (Ps. 23)
Auch für Martin Luther gehörte der Psalter zu den wichtigsten Teilen der Bibel: „Wer die gantzen Biblia nicht lesen kündte / hette hierin doch fast die gantze Summa verfasset in ein klein Büchlin". Er fand es großartig, dass man mit den Psalmen „gegen und mit Gott“ reden kann. Es sind die Psalmen, ein „aller heiligstes Büchlein“, und jeder kann sich darin wieder finden, „als weren sie, allein umb seinen Willen also gesetzt. So nymm den Psalter für dich, so hastu einen feinen, hellen reinen Spiegel“, in dem du dich selbst erkennen kannst.
Deshalb macht es uns Freude und ist zugleich eine große Herausforderung, wenn wir uns zur Zeit in der Bibelwoche in Wittenberge mit den Psalmen beschäftigen.
Reinhard Worch
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