Moment mal
von Pfarrer i.R. Reinhard Worch
Und dräut der Winter noch so sehr...
... mit grimmigen Gebärden und streut er Eis und Schnee umher...“, jene Zeilen von Emanuel Geibel (1815-1884), halten mit mir Schritt, wenn ich den Elbedeich entlang die sonnige Winterlandschaft genieße. Eine Weile tun sogar die eisigen Winde gut. Über den weißen Fluren fliegen Krähen, ein einsamer Fuchs sucht Beute, und drüben krachen ein paar Schollen auf dem Fluss zu einem Eisblock zusammen. Da weist mich jemand auf ein Schauspiel hin. Das Gesträuch mit hunderten von Zweigen funkelt wie ein Diadem. Denn kleine Eiskristalle sammeln die Sonnenstrahlen und werfen sie mir zu als gehörten sie mir, diese tausend Diamanten. Jeder Augenblick beim Weitergehn ist anders. Schließlich verwandeln sich im späten Sonnenlicht der Schnee, das Eis und der fließende Strom selbst. Sie werden orange, dann rot und versinken schließlich in der Dämmerung. Dann wird es Zeit, einmal einzukehren. Bei einem Glas Punsch wärme ich mich auf. Wie schön ist es doch zu spüren, dass es Orte gibt, die mich schützen und an denen ich überwintern kann.
Natürlich teile ich auch Emanuel Geibels „Hoffnung“- denn so überschreibt er sein Gedicht-, dass schließlich die Kälte besiegbar ist und ich mitten im Winter trotz seiner „grimmigen Gebärden“ gewiss sein kann: „...und streut er Eis und Schnee umher, es muss doch Frühling werden.“
Die Naturgedichte der Romantiker haben jedoch einen doppelten Boden. Mit den romantischen Schilderungen der Natur setzten sie sich zugleich kritisch mit zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zuständen auseinander. „Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht mir soll darob nicht bangen.“, heißt es. Doch offensichtlich will er damit auch die Kälte unter den Menschen beschreiben. Wenn er kurz darauf dichtet: „Und wenn dir oft auch bangt und graut,/ als sei die Höll’ auf Erden,/ nur unverzagt auf Gott vertraut! Es muss doch Frühling werden “ , dann zeigt er, was menschliche Beziehungen zu neuem Leben erwecken kann.
Sehr beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang ein anderes Gedicht E. Geibels. Ein Knabe geht mit einem alten Förster durch den Wald. Und als sie unter dem hochgewölbten Dach alter Bäume stehen, zeigt er dem Kind, dass dieser hohe Wald uns von unseren Vorfahren überlassen wurde, damit wir ihn heute nutzen, in und von ihm leben können: „Siehst du über unsren Wegen/ hochgewölbt das grüne Dach?/ Das ist unsrer Ahnen Segen.“ Sicherlich geheimnisvoll muss es dem Knaben anmuten, wenn der Alte aus dem Rauschen der Wipfel ein „ewiges“ Gesetz ableitet. Es besagt, dass keine Generation auf sich allein gestellt existieren kann. Wir bauen auf dem auf, was andere vor uns gegründet haben und die Nachkommen werden ernten, was wir gesät: „Was uns n o t i s t, uns zum Heil/ ward’s gegründet von den Vätern./ Aber das ist unser Teil, dass w i r gründen für die Spätern. Drum im Forst auf meinem Stand/ Ist mir’s oft, als böt ich linde/ meinem Ahnherrn diese Hand,/ jene meinem Kindeskinde.“
Nun könnte man auch hier wieder von einer weltfremden Waldidylle sprechen. Doch es macht gerade die Kälte unserer Zeit aus, dass immer mehr Ereignisse am Horizont auftauchen, vor denen es uns „bangt und graut“. Es sind die Krisen und Katastrophen, Konflikte und Kriege außen, die uns immer mehr auf den Leib rücken, aber auch die sozialen Spannungen im Inneren. Ein Grund dafür, dass wir unsere Welt und unser aller Leben dieser Zerreißprobe aussetzen, ist in der egoistischen Gier zu sehen, sich alles Erreichbare anzueignen. Und darin unterscheiden sich Diktatoren einer Bananenrepublik nicht von Kleinkriminellen und Konzernchefs nicht von unserem Konsumverhalten. Diese Gier kennt weder eine dankbaren Sicht der Vergangenheit noch den verantwortungsvollen Blick auf die Zukunft. Sie kreist im engen Horizont eines augenblicklichen Erfolgs. Nur Gewinn zählt und alles ist allein darauf ausgerichtet. Er bestimmt das Denken und die Herzen der Bänker an der Börse und der Politiker vor den Wahlen. Und immer noch fallen so viele darauf herein, wenn ihnen jemand zuraunt: „Sie haben gewonnen!“ Dagegen bringt der alte Förster dem Knaben bei: Zu den Schätzen deines Lebens gehört, worauf dein Leben ohne dein Zutun aufbaut. Am wertvollsten ist das, was wir den Nachgeborenen zum Leben überlassen, ohne selber daraus Nutzen ziehen zu können. Die Lebenskunde des alten Försters gehört in jedes Kinder- und Schülerherz. Manager, Politiker, Lehrer und Pfarrer sollten zu ihm in die Lehre gehen. Es gilt die Ehrfurcht vor den Voraussetzungen des Lebens und die Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft zurückzugewinnen. Nicht anders wird es Frühling werden. Und doch, im frostigsten Boden wartet noch, was E. Geibel „Hoffnung“ nennt und wir gegen allen Anschein bewahren wollen: „Drum still! Und wie es frieren mag,/ o Herz, gib dich zufrieden,/ es ist ein großer Maientag/ der ganzen Welt beschieden.“
Reinhard Worch
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