Moment Mal
von Pfr. i.R. Stephan Flade
Jüdisches Leben unter uns
Erwartungsvoll fuhren wir zur ersten Veranstaltung der „Havelberger Dialoge - Lebensgeschichte als Weltgeschichte“. Zu Gast war Jalda Rebling, Kantorin in einer jüdischen Gemeinde, eine weltweit bekannte Künstlerin.
Vor dem Dom parkte ein Polizeiwagen. Ein Gruß – ein freundlicher Polizist grüßte zurück.
Jalda Rebling las Familiengeschichten aus den Niederlanden und aus dem faschistischen Deutschland. Vom Einmarsch der Nazis, von unglaublichen Fluchtgeschichten, von der Ermordung der großen Familie in den Vernichtungslagern und von der Rettung ihrer Mutter in Bergen-Belsen. Nach dem Kriegsende: Ausgrenzung in Holland, berufliche Umsiedelung in die junge DDR. Offener und verschämter Antisemitismus unter Stalin und in der DDR. Wegschauen, überleben. Jüdische Opfer und Schicksale zu verdrängen, war angesagt. Die Shoa – d.h. der Massenmord an Europas jüdischer Bevölkerung durch Hitler-Deutschland – wurde beschwiegen. Spät folgten Anerkennung und ein gutes Miteinander bis zur der friedlichen Revolution.
Das alles erlebten wir im Dom, in dem wir sonntäglich in der Bibel die Psalmen lesen. Das sind jüdische Lieder und Gebete. Auch in der Prignitz haben wir uralte jüdische Zeugnisse, wie den Perleberger Judenhof. Ebenso die jüdischen Friedhöfe in Perleberg und in Wittenberge. Denn wir alle leben heute auch aus jüdischen Quellen.
Der Polizeischutz war Hilfe und zeigt unser Problem. Menschen werden erneut antisemitisch und judenfeindlich beeinflusst. Das sichtbare Eintreten für Jüd*innen ist von uns Christ*innen gefordert.
Wann, wenn nicht jetzt.
Wer, wenn nicht wir.
Denn wir hören Mendelssohns Musik und wissen um Einsteins Leistungen. Sie sind Menschen unseres Volkes. Die Ölmühle wurde von Salomon Herz gegründet. Der Singer-Uhrenturm hat einen jüdischen Architekten.
Unser Wissen kann Türen öffnen für Klarheit. Wir sehen ein reiches Erbe und finden auch Verständnis für heutige Konflikte. Der jüdische Psalmist träumt davon „wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder / Geschwister einträchtig beieinander wohnen“ (133,1).
Ich wünsche mir ein solches Miteinander, bei aller Verschiedenheit und Streitbarkeit der Religionen. Uns Menschen schützt die gegenseitige Achtung. Wir sind dann im Dialog und die Polizei hat frei.
Ich wünsche uns allen einen ermutigenden Herbst,
Ihr Stephan Flade
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