Moment Mal
von Pfarrer Olaf Glomke
Festhalten
Von ihrem Krankenbett aus kann sie die Postkarte gut sehen. Angestellt an eine Flasche Wasser (Medium) auf ihrem Nachttisch. Sie weiß genau, was ihre Freundin auf die Rückseite geschrieben hat: „Ich wünsche Dir gute Besserung! Halte an Deinem Glauben fest!“ Gut gemeint. Morgen ist die OP. Jetzt darüber nachdenken – nicht wirklich. In der letzten Nacht hat sie kaum geschlafen. Das Gespräch mit dem Arzt am Nachmittag hat sie angestrengt. Er wird morgen die OP durchführen. Eine Stunde später stellte die Anästhesistin viele Fragen. Und dann musste sie unterschreiben. Mehrmals. Aufklärungsbögen. Danach war sie geschafft. Die Gedanken gehen hin und her. Wird sie das morgen überstehen? Was wird nach der OP sein? Und wenn nicht?
Ihr Handy summt zweimal kurz. Eine Kollegin schreibt ihr eine WhatsApp: „Ich bin dem da oben ganz schön böse! Ich denk‘ an Dich!“ Sie legt das Handy auf den Nachttisch. Dabei fällt ihr Blick auf die Postkarte der Freundin. Das Altarbild aus der St. Jacobi-Kirche. Jesus im Großformat. In Rot gekleidet, mit einem blauen Umhang. Die rechte Hand segnend erhoben. Die Linke wirkt merkwürdig schwer. Als würde sie etwas Unsichtbares belasten. Nun nimmt sie die Karte doch noch einmal in die Hand. Hinter dem Kopf Jesu ist schwach ein Heiligenschein zu erkennen. Seine Augen scheinen sie direkt anzuschauen, … so Auge in Auge. „Du siehst mich?“, denkt sie. Ahnst du, was ich denke?
Einen Tag später, zurück von der Wachstation, denkt sie an das, was Ihre Freundin geschrieben hat: „Ich wünsche Dir gute Besserung! Halte an Deinem Glauben fest!“ Oh, ja, dass hätte passieren können, dass der Glaube aufhört, fühlt sie noch einmal. Dass kann jedem passieren. So eine Krankheit stellen Hoffnung und Vertrauen auf die Probe. Hatte sie eigentlich eine Wahl? „Mir blieb nichts anderes als festzuhalten“, sagt sie sich. Die Postkarte, Jesus im Großformat, steht noch immer auf ihrem Nachttisch. So Auge in Auge. Warum wohl seine linke Hand so belastet aussieht?
„Manchmal“, denkt sie, „braucht man Hoffnung und Vertrauen, das jemand uns festhält“. Mit Worten aus der Bibel klingt es dann so: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand“. Hat deine linke Hand mich getragen? Sie wird die Postkarte mit nach Hause nehmen.
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