Moment Mal
von Pfarrer Valentin Kwaschik
Wie hieß noch gleich die Hauptperson in dem letzten richtig guten Buch, das Sie gelesen haben? Und welches war ihre Lieblingsfarbe in Kindheitstagen?
Erinnern ist so eine Sache. Manche Dinge prägen sich tief in unser Gedächtnis ein, andere verschwinden schneller als uns lieb ist. Wo liegt der Haustürschlüssel? Und was war 7x8?
Als ich heute über den Marktplatz ging, wehte am Rathaus die Deutschlandfahne mit Trauerflor. Ein Passant fragte mich, warum sie da hängt? Ich antwortete, weil heute der 27. Januar ist. Auf dem Gesicht meines Gegenübers nur Fragezeichen. 27. Januar: Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus...
1996 führte Bundespräsident Roman Herzog diesen Gedenktag in Deutschland ein. Er schärfte uns Deutschen ein, dass die Erinnerung niemals aufhören dürfe. Sie solle uns vielmehr zur Wachsamkeit mahnen. 2005 wurde dieser Gedenktag von der Generalversammlung der UNO auch international eingeführt. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Ausschwitz befreit.
Es ist gut, dass wir einen solchen Gedenktag haben. Denn unsere Erinnerungen verfliegen schneller als uns lieb sein kann. Aber die Aufgabe, die uns Roman Herzog ans Herz legte, wird mit jedem Jahr schwieriger. Bald leben kaum noch Menschen, die die schrecklichen Weltkriege miterlebt haben und aus eigenem, bewussten erleben, von den Pogromen und menschenverachtenden Ausbeutung erzählen könnten. Uns bleibt nur erzählte Geschichte.
Wir reden gern von Erinnerungskultur. Aber was ist das eigentlich? Zwei, Drei Tage im Jahr, an denen es verschiedene Veranstaltungen zu Krieg und Gewalt gibt? Es tut gut zu wissen, dass die AG „Schule gegen Rassismus“ am Gottfried-Arnold-Gymnasiums mit ihrer Arbeit die Gedenkkultur am 9.11. und 27.01. in unserer Stadt prägt. Aber vielleicht braucht es noch etwas anderes, damit einzelne Passanten nicht ratlos vor einer Deutschlandfahne mit Trauerflor stehen?
Wir brauchen mehr erzählte Geschichte. Denn Erinnerungen müssen lebendig sein, um zu bleiben. Manche Geschichten unserer Eltern und Großeltern mögen uns zum Hals raushängen. Besonders dann, wenn sie nur noch Ausdruck vom Gefangensein in der Vergangenheit sind. Eine frische Frage oder eine eigene Geschichte mögen die Gespräche beleben.
Wenn dieser Text erscheint, ist der Gedenktag schon Geschichte. Ich rede dennoch davon, denn der Auftrag bleibt. Als Christ erinnere ich meine Geschichten durch Wiederholung. Alljährlich werden die gleichen Geschichten erzählt. Ich erzähle munter mit, damit lebendig bleibt, was mich trägt und mich mahnt wachsam zu sein, wo Wege sich verlieren können.
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