Moment Mal
von Wilfried Schmidt
Seit fast 300 Jahren gibt es die Herrnhuter Losungen. Viele kennen dieses blaue Buch oder die App: Bibelworte für jeden Tag. Mit diesen Impulsen wird uns Gott vor Augen gemalt und wir können täglich sehen, was es bedeutet, Glauben an Jesus zu leben.
1987 oder 1988 lasen wir um den 13. August herum: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ (Psalm 18,30) Mauern werden „durchlässig“, wo Gott Türen und Herzen öffnet. Es ist ein großes Geschenk, Verbundenheit durch den Glauben auch über Mauern und Grenzen hinweg zu erleben und sich gegenseitig im Gebet tragen und ermutigen zu können.
Und es ist ein Wunder, wenn Mauern fallen. Das ist damals ein oder zwei Jahre später passiert. Heute ist kaum zu erkennen, wo die Mauer stand, die unser Land so schroff trennte. Gott hat Wunder getan.
Nun lese ich in diesen Tagen in den Losungen das selbe Bibelwort. Und ich denke an ganz andere Mauern. Wie schnell bauen Menschen innere Mauern, weil sie sich nicht verstanden fühlen oder mit Worten und Gesten verletzt wurden.
Verständlich! Die Mauer, der schwer überbrückbare Abstand, soll erneute Enttäuschungen und Verletzungen verhindern. Aber diese Mauern tragen die Gefahr in sich, andere wiederum zu verletzen oder auch eigene Wunden zu pflegen statt heilen zu lassen.
Ich sehe es als ein wunderbares Geschenk, dass Gott es möglich macht, auch solche inneren Mauern zu überwinden und abzubauen. Das hat Jesus uns vorgelebt. Er ist auf die Menschen zugegangen, hat um niemanden einen Bogen gemacht. Auch dort, wo er sich missverstanden wusste oder Gefahr drohte. Immer hat er versucht, Brücken zu bauen. Tröstend, ermutigend – oder auch mit mahnenden und nachdenklich stimmenden Worten.
In seinem Handeln wurde deutlich: nicht Mauern schützen uns vor (erneuten) Verletzungen, sondern das miteinander Reden, einander ernst nehmen und Vergebung.
Vergeben heißt ja nicht: ‚So schlimm war’s ja doch nicht!‘. Viel mehr: Es hat weh getan, aber ich will es dir nicht mehr vorhalten. Ich will deine Bitte um Entschuldigung ernst nehmen. Ich will auch deine guten Seiten sehen und damit rechnen, dass du mir auch Gutes tun kannst und wirst.
An so mancher Stelle warte auch ich auf das Wunder, dass Mauern fallen. Ich darf es Gott zutrauen. So höre ich das Wort aus dem Psalm.
Mauern bauen? Vielleicht gegenüber schlechtem Denken, Reden und Handlungsweisen. Aber nicht gegenüber Menschen. Da sind Brücken besser. Wie das geht? Ich weiß auf jeden Fall eins: Gott wird uns dabei nicht allein lassen.
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