Moment Mal
von Pfarrer Olaf Glomke
Sehnsucht
Seit 1996 begehen wir am 27. Januar den „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“. Wir gedenken der Opfer des Holocaust und derer, die die Lager überlebt haben und derer, die noch ins Exil gehen konnten.
Heute möchte ich an Nelly Sachs erinnern und an das, was sie uns auch heute sagen kann. Ein Satz von ihr ist über ihre Zeit hinaus bekannt geblieben: „Alles beginnt mit der Sehnsucht.“
Nelly Sachs wurde 1891 in Berlin geboren. Sie war die einzige Tochter der jüdischen Familie Sachs. Sie beschäftigte sich früh mit Lyrik und schrieb mit 17 Jahren ihre ersten Gedichte. Ihr Vater wurde von Nationalsozialisten gefoltert und starb 1930. Mit Hilfe von Freunden gelang ihr in letzter Minute die Flucht nach Schweden. Dort übersetzte Nelly Sachs moderne schwedische Lyrik ins Deutsche. Sie schrieb eigene Gedichte. Ihre Werke wurden in beiden Teilen Deutschlands veröffentlich. Doch Deutschland blieb, selbst nach 20 Jahren, für sie angstbesetzt. Die Geschehnisse der Vergangenheit holten sie immer wieder ein.
1965 erhielt sie als erste Frau den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ein Jahr später wurde Nelly Sachs der Literaturnobelpreis verliehen. Sie starb 1970 in Stockholm.
Einige ihrer Gedichte erschienen sogar in deutschen Schulbüchern. „Alles beginnt mit der Sehnsucht, / immer ist im Herzen Raum für mehr, / für Schönes, für Größeres …“ Die ersten Zeilen ihres Gedichtes „Sehnsucht“ werden in unterschiedlichsten Zusammenhängern gern und oft zitiert.
Die Sehnsucht, sie ist für viele - sehr viele - Menschen zu einem täglichen Begleiter geworden. Auf Vertrautes, Liebgewordenes müssen wir verzichten. Distanz bestimmt unsere Nähe zueinander. Offene Abschiede lassen schmerzhafte Trauer zurück. Das heftige und streitbare Für und Wider, die kritische Suche nach wirklich tragfähigen Antworten spaltet und stellt uns dennoch nebeneinander. Die Sehnsucht ist groß, dass sich alles zum Guten wendet. „Alles beginnt mit der Sehnsucht“. Und so fragt Nelly Sachs in ihrem Gedicht nach dem, der für unser Suchen und Hoffen mehr Möglichkeiten hat als wir Menschen. Zu ihrer Zeit und ebenso heute.
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