Moment Mal

von Superintendentin Eva-Maria Menard

Du hast den Farbfilm vergessen...

Aus gegebenen Anlass hörte ich mir dieses Lied von Nina Hagen und der Rockband Automobil an.

Ich gebe zu: viel mehr als die Titelzeile kannte ich nicht. Als dieses Lied 1974 auf AMIGA erschien, kam ich gerade in die Schule und sang eher Frank Schöbel („Komm, wir malen eine Sonne“) als ostdeutschen Punkrock mit. Jetzt bin ich schwer begeistert von der Musik, aber noch mehr vom Text. In diesem Lied wird beschrieben, wie Nina und ihr Micha an einem der schönsten Orte Deutschlands - auf Hiddensee - sind, der Sanddorn leuchtet orange, der Himmel blaut, die Sonne strahlt.

Alles scheint wunderschön zu sein und Nina ist trotzdem genervt, weil das alles nicht in Farbe festgehalten werden kann. „Du hast den Farbfilm vergessen bei meiner Seel’... alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr... nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war“.

Was auch immer in dieses Lied und in den Wunsch der scheidenden Bundeskanzlerin es beim „Großen Zapfenstreich“ zu hören, hineininterpretiert wird, für mich trägt es prophetischen Charakter und weist in unsere moderne Handy-Welt. Da muss erst das Essen fotografiert werden, bevor es genossen werden kann.
Da krame ich nach dem Handy, statt die grandiose Wolkenformation einfach zu bestaunen. Auch die perfekte Adventsdekoration gehört festgehalten.

Und dann schicke ich WhatsApp Nachrichten und teile diese Bilder auf Facebook. Warum eigentlich? Weil mir sonst kein Mensch glaubt, wie schön’s hier war? Wie gut es mir geht?

Manchmal ärgere ich mich über meine „Festhalteritis“, lasse die Kamera in der Tasche, genieße und staune und erinnere dazu das Bibelwort: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; Gott aber sieht das Herz an.“

Gott sieht auch die hastige Stulle zwischendurch, die unaufgeräumte Küche, den unerledigten Papierstapel auf dem Schreibtisch. Gott blickt hinter die bunte Fassade, er hält - ihm sei Dank - nicht fest, was er so alles sieht. Da ist ja nicht allein die unordentliche Wohnung und die unerledigte Arbeit, da ist auch manch Kummer im Herz, manche Sorge und Bedrückung, die sich nicht so leicht vor anderen zeigen lässt und die ich nur mit wenigen teilen kann, teilen möchte. Daher mein Tipp für die Adventszeit:

Wenn Sie in diesen schwierigen Tagen einen adventlichen Lichtblick erhaschen, Ihr Liebster aber den Farbfilm (bzw. das Handy) vergessen hat, dann seien Sie nicht sauer, sondern genießen Sie den Moment.

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