Moment Mal

von Pfr. i.R. Stephan Flade

Widersprüche

Widersprüche sind kein Zeichen von Schwäche. Ja, wir leben in widersprüchlichen Zeiten. Spannungsvoll und aufgeladen. Es knallen Kräfte aufeinander. Im Kleinen wie im Großen.

In der Familie Zwiespalt beim Impfen. In der Kirche Spannungen in den Debatten um das Thema „Kirche-im-Dorf lassen“. Und der Gegensatz zwischen den Menschenrechten bei uns und außerhalb der EU-Grenzen. Das sind nur einige der Widersprüche, die mich gerade umtreiben.

Ich erlebe Risse, die herausfordern und zu Entscheidungen nötigen, die ich Wochen zuvor nicht für denk-, geschweige denn für umsetzbar hielt. Widersprüche haben auch eine kreative, schöpferische Seite. Wenn Dinge aufeinander prallen, dann setzt das auch kraftvolle Energie frei. Laues Dümpeln, ungefähres Schwanken, ein Abgleiten ins Ungewisse wird unmöglich.

Ein bizarres Gebirge mit Perspektiven wird sichtbar. Der verschleiernde Nebel löst sich auf. Ein Weiter-So geht nicht. Nun kommt es auf die zutreffenden Handgriffe, die entscheidende Orientierung an. Entscheidungen fallen. Befreiende, erlösende, aber auch nicht mehr rückholbare. Wege trennen sich.

Ist das alles schlecht und bedauerlich? Nein, ich denke nicht. In einer Welt der gravierenden menschengemachten Veränderungen brauchen wir Aus- und Aufbrüche. Ausgetretene Pfade sind zu Ende. In solcher Zeit bin ich dankbar für Wegweiser. Bücher, Artikel, Menschen, Gespräche im Vertrauen, die mir die Augen öffnen. Kirchlich befinden wir uns zwischen dem Totensonntag und der Adventszeit. Aufbruch hin zum Weihnachtsgeschehen. Politisch vor einer Regierungsbildung, die „Den Aufbruch gestalten...“ will.

Die Corona-Pandemie führt uns in risikoreiche Formen. Die Flüchtlinge an unseren EU-Grenzen fragen: Wie humanitär ist eure Demokratie? Widersprüche. Manches braucht unseren Widerstand.

Gern erinnere ich mich an einen unserer christlichen Wegweiser. Dietrich Bonhoeffer schrieb im Gefängnis im 2.Weltkrieg: Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern unsere Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht. Geistesgegenwärtig halten wir die Widersprüche aus. Der Mist von heute ist der Humus von morgen.

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