Moment mal
von Pfarrer i.R. Reinhard Worch
Wenn einer sagt, ich mag dich, du....
Diese Liebeserklärung ist kein Privileg zweier Verliebter. Sie kann eine beglückende Erfahrung ganz normalen menschlichen Miteinanders sein, auch wenn sie sehr selten geworden ist. Diejenigen, die in der vergangenen Woche in der Albert-Schweitzer- Schule Wittenberge das Musical über das Wundertier WA-LU-LA erlebt haben, waren beeindruckt von der Botschaft dieses Stückes. Das Tier, mit Flossen, Flügeln und Schweinekopf ausgestattet, ist zwar in allen Elementen, im WAsser, in der LUft und auf dem LAnd („WA-LU-LA“) zu Hause, aber in keinem zu höchsten Leistungen fähig. Jedoch ist es immer zur Stelle, wenn es von anderen zu Hilfe gerufen wird. Deswegen wird das WA-LU-LA auch nicht im Stich gelassen, als es selbst in Not geriet. Nach der Aufführung zeigten die Eltern, Schülerinnen und Schüler anderer Schulen der Stadt, und Nachbarn aus dem Wohngebiet ihre Bewunderung mit anhaltendem Applaus. Der Landrat H. Lange und der Bürgermeister Dr. O. Hermann würdigten anschließend die herausragenden Leistungen der Schüler, Lehrerinnen, des Komponisten Lexa Thomas und der Autorin Bärbel Mann.
Ich hatte den Eindruck, dass sich die Anerkennung nicht allein auf das Stück und deren Darstellung bezog. Es sprang ein Funke von den Kindern und Jugendlichen auf die Zuschauer über, als wollten sie sagen: ‚Wir strengen uns an, weil wir uns freuen, dass ihr da seid. Denn wir mögen euch.’ Und als Zuschauer musste man die kleinen und großen Akteure, die ganze singende, Blätter, Blumen und Schneesterne schwingende Schar der Schülerinnen und Schüler gern haben.
Von beiden Seiten vollzog sich das, was schon seit 20 Jahren im Schullied gesungen, für unser mitmenschliches Verhältnis ersehnt wird:
„Wenn einer sagt, ich mag dich, du, ich find dich ehrlich gut, dann krieg ich eine Gänsehaut und auch ein bisschen Mut!“
Ausgerechnet in einer Schule für geistig Behinderte, im Anblick der bunten Farben fröhlicher Kostüme und beim frischen Gesang berührender Melodien fährt einem diese Liebeserklärung der Mitmenschlichkeit unter die Haut. Frau S. Milschus, die Direktorin der Schule, sagte: „Erst wenn man sich gemocht und angenommen fühlt, kann man sich öffnen und seine eigenen Ressourcen aktivieren und die noch zuvor als unüberwindlich gesehenen Grenzen überschreiten.“
Das gilt natürlich nicht nur für Behinderte.
Damit diese Liebeserklärung kein Lippenbekenntnis bleibt, muss als Zweites deutlich werden, dass man den anderen braucht, so wie es im Schullied heißt:
„Wenn einer sagt, ich brauch dich, du, ich schaff es nicht allein, dann kribbelt es in meinem Bauch, ich fühl mich nicht mehr klein.“
Dazu Frau Milschus: „Wir befähigen unsere Schüler durch unsere Arbeit, dass auch sie möglichst schnell merken, wie sehr ihre Hilfe gebraucht wird. Nichts ist schlimmer, als zu erfahren: Lass bloß sein, das kannst du sowieso nicht. Gebraucht zu werden ist ein wesentliches Grundbedürfnis des Menschen.“
Geliebt und anerkannt zu sein, dass sind die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Weg. So drückt es der nächste Vers aus:
„Wenn einer sagt, komm geh mit mir, zusammen sind wir was. Dann werd ich rot, weil ich mich freu, dann macht das Leben Spaß!“
Dazu die Direktorin: „Wir geben unseren Kindern die Gewissheit, dass sie bei ihrem Lernen nicht allein gelassen sind. Gemeinsam haben wir Spaß trotz oft anstrengender Aufgabenbewältigung.“
Die Schule hat es in den 20 Jahren ihres Bestehens geschafft, ein gutes Stück auf einem gemeinsamen Weg mit anderen voranzukommen, mit anderen Schulen, verschiedenen Institutionen, dem Förderverein,
Künstlerinnen, und vielen anderen, aber vor allem mit den Bürgerinnen und Bürgern im Wohnbezirk.
Gerade das wurde bei den Aufführungen in der vergangen Woche deutlich, dass man die Integration von Behinderten nicht mit rein äußerlichen, administrativen Maßnahmen lösen kann. Behinderte Menschen müssen vor allem erfahren, dass sie gemocht und gebraucht werden. Außerdem ist es für sie wichtig, dass sie einen sehr weiten Raum vorfinden, in dem sie sich entfalten können. Beides haben die Schüler und mit ihnen die Lehrerinnen in ihrem Umfeld gefunden und in ihrer Schule immer wieder neu versucht zu gestalten.
Der Vorsitzende der Wohnungsgenossenschaft K. Korup brachte seine Wünsche für die Schule auf den Punkt als er sagte, er hoffe auf ein weiteres so gutes Miteinander im Wohngebiet und dass die Schule vor weiteren Schulexperimenten verschont bleibe.
„Inklusion“, das neuere Schlagwort für die Integration behinderter Menschen, soll deren Aufnahme in den normalen Schulbetrieb bedeuten. Eigentlich heißt „inclusio“ (lat.) aber „Einschließung, Einsperrung, Verschluss“. Gerade gegenüber dem, was wir an Entfaltungsmöglichkeiten und Integrationsgeschehen in der Albert-Schweitzer-Schule erlebt haben, wird hoffentlich die Inklusion keinen erneuten Verschluss der Behinderten in einem Umfeld bedeuten, das sie unter dem enormen Leistungsdruck weder lieben noch brauchen kann.
Im Zusammenleben mit behinderten Menschen wird man vieles besser begreifen. „Lasst uns lernen und aneinander wärmen“, haben am Schluss alle gemeinsam gesungen. Schön, wenn uns das miteinander gelingt.
Reinhard Worch
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Kommentar von Birgit Pieper |
Sehr geehrter Herr Worch,
auch wenn schon ein paar Tage vergangen sind, möchte ich kurz auf Ihren Kommentar reagieren.Ich kann Ihre Worte nur unterstreichen und bin von Herzen berührt.Ich war mit zwei Kolleginnen zu Gast bei der Aufführung dieses großartigen Musicals& höre die CD nun täglich in meinem Büro.Wir betreuen in unserer Einrichtung ein Mädchen, dass die Albert-Schweitzer-Schule besucht. Es war für uns selbstverständlich zur Aufführung zu gehen.Was soll ich sagen, die Gefühle schlugen Purzelbäume- es ist so, als schüttete mir jemand einen Eimer warmen Glücks ins Gesicht.Wir waren sooo stolz auf Susi.Ich würde mir wünschen, dass WA-LU-LA öfter aufgeführt wird (auch wenn es sicherlich nicht einfach ist) und es wäre so wichtig, diese botschaft mit diesen Künstlern in die Welt bzw. in die Prignitz zu tragen!!!
Herzliche Grüße
Birgit Pieper