Moment Mal
von Pfarrerin Anna Trapp
Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze, habe ich einen wunderbaren Blick in unseren Garten. Dabei macht es mir große Freude, unsere Gartenvögel zu beobachten, die an den Futterstellen auf und ab flattern. Die einen wild und mutig, die andere vorsichtig und scheu. Ein bisschen so, wie ich es wohl auch von mir selbst kenne, je nach Umgebung. Da, wo ich mich sicher fühle trete ich anders auf, als in unbekannten Gefilden.
Ein Vogel hat es mir in diesem Winter besonders angetan. Ein beliebtes Tier, nicht nur bei uns in Deutschland. Das Rotkehlchen ist mein Favorit. Wenn ich es sehe, freue ich mich ganz unvermittelt. Seine hellrote Brust ist im weißen Schnee besonders schön anzuschauen.
Und dieses markante Aussehen hat auch dazu geführt, dass das Rotkehlchen seit Mitte des 19. Jh. in einige christliche Legenden Einzug nahm. So wird beispielsweise in England erzählt, dass das Rotkehlchen dem am Kreuz sterbenden Jesus etwas vorsingt, um ihn im Leiden zu trösten und dabei vom Blut der Wunden sein rotes Federkleid erhält. Darum wird es auch Christusvogel genannt. Tatsächlich ist der Gesang des kleinen Musikus zu jeder Jahreszeit schön anzuhören, doch inmitten des kalten Winters, ist er ein Bote des Lebens.
Wir sagen: „Jeder hat sein Kreuz zu tragen.“ Und tatsächlich gibt es Momente tiefer Dunkelheit und Verzweiflung, Angst und Schmerz im Leben. Man kann sie nicht einfach mit billigem Trost wegwischen. Man kann sie nur aushalten und durchhalten, so wie Gott es in Jesus auch getan hat. Vielleicht sind es darum gerade die kleinen, unscheinbaren Zeichen der Hoffnung, die uns dabei helfen.
In der Bergpredigt ermutigt uns Jesus selbst bei allen Sorgen auf die Vögel als Beispiel der Hoffnungsperspektive zu schauen. Zwar nennt Jesus nicht explizit das Rotkehlchen, aber im Beobachten desselben geht mir dieses Bibelwort neu zu Herzen. Der Gott, dem das Leiden nicht fremd ist, der ist und bleibt doch ein Gott des Lebens. Davon singt im kalten schneebeschneiten Land das Rotkehlchen.
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