Moment mal
von Superintendent Hans-Georg Furian
Nächstenliebe – Deine Sache
„Nächstenliebe – Deine Sache“, was für ein Satzzeichen setzten Sie dahinter? Ein Fragezeichen: „Nächstenliebe – Deine Sache?“, oder ein Ausrufezeichen: „Nächstenliebe – Deine Sache!“.
Ich frage mich nicht: ist Nächstenliebe möglich. Ich frage mich, was wäre, wenn ich nichts von ihr wüsste? Wenn ich das Wort nicht aus der Bibel (dem Alten Testament wie dem Neuen Testament) kennen würde. Hätte ich dann keine Worte für dieses Verhalten? Gäbe es so etwas dann gar nicht?
Damit erinnere ich an Altbekanntes, jedenfalls einst Alt- und Allbekanntes. Das macht die Kirche und die Arbeit eines Pastors heute vielen Mitmenschen suspekt. Wo es um ständige Neuerung geht, wird die Erinnerung an Altbekanntes leicht als überflüssig angesehen. Aber das ist ein gründliches Missverständnis, nicht nur im Blick auf das, was wir als Kirche zu sagen haben. Ein Beispiel: Im August 1845 besuchte König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die neu errichtete Sternwarte der Universität Bonn. Als er deren Leiter, den Astronomen Friedrich Wilhelm August Argelander, jovial begrüßte: »Na, Argelander, was gibt es Neues am Himmel?« erhielt er zur Antwort: »Kennen Majestät schon das Alte?« Die Antwort des Astronomen hat auch heute nichts an Aktualität verloren, nicht nur Majestäten gegenüber. Das Alte wird leicht unterschätzt, weil man es nicht mehr kennt. Das ist nicht nur ein Informationsdefizit, sondern ein Orientierungsverlust. Was aus dem Blick gerät ist hier, was der andere Mensch neben mir ist!
Ich würde ihn ohne Kenntnis dessen, was Nächstenliebe meint, nur im Rahmen meiner Lebensplanung sehen. Ja, ich würde ihn nur in der Funktion, die er für mich und meinen Lebensweg erfüllt, sehen: vielleicht als Konkurrenten im Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt, oder als Nebenbuhler im Freundeskreis oder meiner Familie. Natürlich ist das eine Verkleinerung dessen, was ein Mensch ist. Wird er in dieser Verkleinerung nicht durch Reduzierung zur berechenbaren und manipulierbaren Figur auf dem Schachbrett des Lebens?
Aber unser Leben ist mehr, als wir von ihm wissen und wissen können. Was wir von uns wissen, ist stets weniger, als andere von uns wissen können. Aber in anderer Hinsicht wissen wir auch stets mehr, als sie von uns wissen können. Das alles ist nicht selbstwidersprüchlich, sondern Ausdruck der Tatsache, dass menschliches Leben nicht nur anderen, sondern auch sich selbst verborgen ist. In dem uns das aufgeht zeigt sich, dass wir uns selbst entzogen sind und uns nicht gehören.
Christen deuten das und sagen: wir gehören Gott. Darin gründet für uns, das jeder Mensch eine Würde hat und Rechte, die er sich nicht verdient haben muss.
In diesem Horizont hat die Nächstenliebe ihren Grund. Sie ist die praktische Folge dessen, das jeder von uns Bild Gottes ist. Eine unverwechselbare Person. In jedem von uns ist ein Geheimnis zu Hause. Die Nächstenliebe respektiert es. Ja, sie macht es erlebbar, dass keiner nur das wert ist, was er hat und leistet. Diese Erfahrung ist gerade heute wichtig.
Das gilt auch für die große Politik. Wo der Mensch nur Marionette von Diktatoren ist, da sind deren Tage gezählt; hoffentlich auch bald in Syrien.
Ich wünsche uns, dass wir auch am Kreiskirchentag in Perleberg erleben, dass wir darum freie Personen sind, weil wir ganz Gott gehören. Wir freuen uns auf Sie: am 18. September ab 14 Uhr im Hagen.
Hans-Georg Furian
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