Moment mal
von Superintendent Hans-Georg Furian
Liebe Leserinnen und Leser,
am heutigen 30. Mai jährt sich der Todestag eines der berühmtesten Perleberger. Gottfried Arnold ist heute vor 297 Jahren (1714) verstorben. Lohnt es sich, dass wir uns mit ihm beschäftigen?
Darauf möchte ich unter Hinweis auf eine seiner Predigten antworten. Er hat sie am 14./15. Februar 1709 in der Perleberger St. Jacobi Kirche gehalten. Kurze Zeit zuvor war die Stepenitz über die Ufer getreten. Arnold schildert, was seine Gemeinde und er erlebt haben:
„Welch ein Geschrei entstand eben zu Mitternacht in allen Häusern, fast wie dort in Ägypten zur Zeit Pharaonis! Was hörte man da für ein Winseln und Wehklagen derer im Wasser schwebenden Menschen! Wie viele wurden in ihren eigenen Häusern eingeschlossen und vom Wasser gleichsam belagert, dass sie weder aus noch ein konnten! Wie stürmten und stießen die Wellen samt den grausamen Eisstücken auf manche Hütten los, und droheten den Einwohnern alle Augenblick den gewaltsamen Untergang an!“ Arnold nimmt die Erfahrung der Menschen auf. Weltfremd und lebensfern wollte er nicht predigen! Aber mit welchem Ziel kommt er auf darauf zu sprechen?
Zunächst zeigt sich die frühe Aufklärung: nämlich aus erzieherischen Gründen. Gott wirkt wie ein weiser Erzieher. Denn, so zitiert Arnold aus der Bibel: „Gott will nicht den Tod der Sünder, sondern dass sie sich erst bekehren und sodann leben“. „So bekehret euch nun‘, fährt Arnold fort, „ihr Einwohner dieser Stadt, sage ich nochmals, ja bekehret euch zu Gott, so werdet ihr leben“.
Denn diese Überschwemmung war kein Zufall aber auch kein notwendiges Naturereignis. Arnold fragt: „Ist es denn etwa so … wie die Gottlosen … meinen? Oder sollte wohl das allerweiseste Wesen etwas ohne … Grund tun? … Ein Atheist mags glauben, ein Blinder mags nicht erkennen, aber wer dem Heiligen Geist Raum gibt, wird’s gar anders ansehen. … Manche werden bloß auf natürliche Umstände fallen, und mit der Vernunft darauf bestehen bleiben … Nun wird auch kein Verständiger die natürlichen Ursachen ausschließen, sie bleiben in ihrem Teil … gewiss genug, wenn man nur nicht dabei allein beruht, sondern sich durch sie weiter auf das allerhöchste Wesen selbst, als den obersten Regenten führen lässt.“ Arnold verbindet hier die natürlichen Ursachen mit ihren Gründen. Darin ist er regelrecht modern, denn er weiß: es gibt die Fakten nie ohne ihre Deutung; er benennt, woher er sie deutet: „Vor starken Wassergüssen gehen ganz gewiss starke Schulden her: das sind die Ursachen derselben“.
Natürlich macht er daraus keinen Automatismus. Damit wäre Gottes Freiheit verspielt. Arnold sagt: „Denn es kann ja durch herzliche Besserung alles Übel abgewandt werden.“ Und diese Besserung ist sein Ziel!
Denn die Perleberger haben solche Besserung in Arnolds Augen nötig. Er sagt: „Zeugt nicht bei vielen ihr eigen Gewissen, dass sie … ohne Gott gelebet haben? Manche kennen Gott nicht einmal, und sind in ihrer Unwissenheit aufgewachsen und alt geworden, wehren sich auch wohl wider die bessere Anführung ihrer Kinder. …Man bleibet bei den alten Vorurteilen … die Alten wären auch nicht besser gewesen … Denn man suchet nur Bequemlichkeit des Fleisches.“ So soll es nicht bleiben!
Neben dieser frühaufklärerischen Sicht auf Gott als den weisen Erzieher, der auch durch die Gewalten der Natur Menschen auf einen besseren Weg führen möchte, steht bei Arnold noch etwas anderes auf dem Programm, nämlich der Trost der verängstigten Menschen. Denn gerade weil Gott hinter der Katastrophe steht hat er sie auch in der Hand; Arnold schreibt: „Mercket und lasset euch feste stehen in solchem Glaubensgrund, dass unser Gott alles in seiner Hand hat, auch die unbändigsten Elemente. … Insonderheit denket daran, wenn innerliche Not entsteht …“
Die Auseinandersetzung mit Arnold lohnt sich. Er lädt uns dazu ein, uns danach zu fragen, wie wir mit schlimmen Erfahrungen umgehen, die wir Menschen machen können. Selbst, wenn wir das frühaufklärerische Bild von Gott, als dem weisen Erzieher des Menschengeschlechtes, der auch durch die Katastrophen die Menschen bessern möchte nicht mehr teilen, so bleibt doch die Frage, was wir an diese Stelle setzen.
Ein Anreger der modernen Zeit ist er aber auch in seinem Hinweis auf die Grenzen der Vernunft. Reicht es, sein Leben aus der Perspektive zu deuten, die uns die Naturwissenschaften bieten können? Oder müssen da noch andere hinzutreten?
Wichtig ist er uns Christen schließlich in seinem Bemühen, die Lebenserfahrung mit dem zu verbinden, was sich von der Bibel her sagen lässt.
Auch, wenn Arnold uns in manchem fremd geworden ist, die Auseinandersetzung mit ihm lohnt sich! Könnte es mehr geben, dass von einem Menschen gesagt werden kann, der vor fast 300 starb?
Hans-Georg Furian
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