Moment Mal

von Pfarrerin Anna Trapp

Karfreitag 2020

Als Kind hatte ich eine Kinderbibel in der ich gern gelesen habe. Sie war im Vergleich zu meinen anderen Büchern etwas größer, hatte schöne Bilder und ich fand sie verständlich geschrieben. Ich habe gern die Geschichten gelesen, von Abraham und König David und eben auch Jesus. Und immer wieder auch die Erzählungen von Jesu letzten Tagen in Jerusalem und seinem schrecklich einsamen Tod. Das hat mich als Kind jedes Mal zu Tränen gerührt. Ich konnte nicht verstehen, dass die Geschichte ihren Verlauf immer wieder so nahm, dass Jesus zwar wusste, dass er sterben würde, aber nichts dagegen unternahm, sich nicht wehrte, ja nicht einmal verteidigte, als er die Chance dazu bekam. Warum? Warum musste Jesus sterben, einsam und von allen Freunden verlassen? Warum hatte Gott das zugelassen?

Hier am Beispiel dieses Jesus stellte ich mir als Kind diese grundsätzliche Frage: „Warum lässt Gott das nur zu?“, auf die viele im Laufe der Zeit Antwort suchten und die gerade jetzt sicher auch wieder einige berührt. Eine Frage, die sich heute vielleicht nicht konkret auf Karfreitag bezieht, die aber etwas zu tun hat mit dem Kreuzesgeschehen deines und meines Lebens, dem stillen isolierten Leiden und Sterbe, der Einsamkeit und Angst in die manche Menschen in diesen Tagen stürzen. Es ist sehr verführerisch dem Leid in der Welt einen Sinn zuzuschreiben und damit zu relativieren.

Auch der Kreuzigung Jesu hat man im Nachhinein viel Sinnhaftes zugeschrieben, die frühchristlichen Gemeinden mussten ja erklären, wie es dazu kommen konnte, dass der Retter so grausam sterben musste. Sie haben dafür Beispiele und Bilder des Alten Testaments genutzt, vom leidenden Gottesknecht, vom Opferlamm, vom sich stellvertretend hingebenden Königssohn. Damit Jesus nicht umsonst gestorben ist. Damit der ganze Schmerz einen Sinn hat. Getröstet haben mich diese Deutungen nie, Hoffnung geschenkt haben sie nicht. Karfreitag ist eben nicht Ostern.

Die Geschichte des Karfreitagsgeschehens berührt mich immer noch. Gerade in diesem Jahr nehme ich sie vielleicht sogar noch einmal ganz neu wahr. Ich hoffe aber nicht mehr, wie ich es als Kind tat, dass Jesus dieses Mal seinem Weg ans Kreuz doch irgendwie entrinnen könnte. Ich versuche auch nicht zu erklären, warum es so sein musste. Ich blicke vielmehr mit einer Dankbarkeit auf das Schreckliche, was da am Kreuz passiert. Denn es tut gut, dass ich an einen Gott glauben darf, der die Abgründe des Menschlichen kennt; dem weder Angst, noch Schmerz, noch Einsamkeit, noch der Tod selbst fremd sind. Ich bin dankbar, dass Jesus diesen Weg gegangen ist und sich damit hingegeben hat für alle, die in den dunkelsten Stunden ihres Lebens nach ihm rufen. Diese Welt, die manchmal so unendlich schrecklich, brutal und ungerecht ist, die hat Gott an diesem Kreuz selbst erfahren und Jesus duckt sich nicht weg und läuft nicht davon, sondern stellt sich dem bis zum Schluss. Und das ist zumindest für mich ein Gedanke, der den Karfreitag in dieser Zeit auch zu einem tröstlichen Tag machen kann, aller Grausamkeit und aller Sinnlosigkeit zum Trotz.

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