Moment Mal

von Pfr. i.R. Stephan Flade

Eine evangelische Revolution für das ganze Land

Es sei kein Zufall, dass sich die friedliche Revolution mit Orten wie der Berliner Gethsemanekirche, der Leipziger Nikolaikirche oder der Babelsberger Friedrichskirche verbinde. Der Herbst `89 sei im Kern eine „sehr evangelische Revolution“ gewesen. So sagte es Matthias Platzeck bei einem Zeitzeugengespräch Ende August. Auch in der Prignitz begann das öffentliche Nachdenken und Diskutieren in den evangelischen Kirchen: in Wittenberge, Perleberg und Pritzwalk.

Es kam nicht aus heiterem Himmel. In Pritzwalk zum Beispiel haben wir in der Jungen Gemeinde schon 1979 angefangen, über gesellschaftliche Veränderungen in der DDR nachzudenken. Liedermacher aus Berlin und Rostock waren zu Gast, Rechtsanwälte berieten über die Wehrdienstverweigerung als ein konkretes Friedenszeugnis.

Freunde aus Sachsen berichteten von Friedensseminaren und Umweltaktivitäten. Markus Meckel regte uns später aus dem nahen Vipperow bei Röbel an. Wir erinnerten uns der letzten vorhandenen jüdischen Gräber, die die Nazi-Pogrome überstanden hatten. Die jährlich stattfindenden Friedensdekaden waren Marksteine der gewünschten gesellschaftlichen Erneuerung. An zehn Tagen im November wurde täglich sehr konkret über notwendige Schritte zur Veränderung nachgedacht, wurde gesungen und gebetet. Im Vordergrund stand der Einsatz für Gewaltfreiheit: „Schwerter zu Pflugscharen“.

Ich entsinne mich auch sehr deutlich an die ersten Martinstage in Pritzwalk. Eine kleine bewegte Gruppe von Kindern mit ihren Eltern zog gemeinsam mit einem berittenen Sankt Martin durch die Innenstadt, von der katholischen zur evangelischen Kirche. Erstaunen, Verunsicherung bei den Passanten. Das war 1979. Kein markanter Schritt, aber eine öffentliche Stellungnahme, ein Herauswagen aus den Mauselöchern der winkligen Wohnungen. Ein Engagement im lebendigen, zeitbezogenen Glauben. So haben wir Jahr um Jahr geübt, wurden sicherer im Umgang mit Zurückhaltung, Ablehnung und Kritik – auch aus den eigenen Reihen.

Diese Friedensbemühung gab es in der gesamten damaligen DDR, nicht nur im medial vielbeachteten Ost-Berlin. Das wird von der Bundesprominenz und den Medien häufig übersehen.

Auch in diesem Jahr gestalten wir wieder eine Friedensdekade als ein konstitutives Bau-Element für notwendige Veränderungen weltweit. Eine herzliche Einladung nach Pritzwalk, vom 10. - 20. November in der St. Nikolai-Kirche.

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