Moment Mal

von Superintendent i.R. Peter Heß

Termine zum Nachdenken und Danken

Das ist schon bemerkenswert. Erntedankfest und der Tag der Deutschen Einheit fallen beide auf den Anfang Oktober. Der 9. November, Tag des Mauerfalls, liegt unmittelbar vor uns. Da kann ich nicht anders als dem Wesen und Wert der Dankbarkeit nachzuhängen. Jahr für Jahr geschieht das Wunder der Fürsorge des Schöpfers. Natürlich haben Menschen im Blick auf Saat und Ernte ihren Anteil an Mühe. Dennoch bleibt unterm Strich klar: Das Wesentliche bleibt Geschenk. Leben, Gesundheit, Kraft, Nahrung und Gaben sind Geschenke.

Und die Freiheit und die Einheit? Ja, auch da haben Menschen auf den Straßen und in Friedensgebeten, mit Kerzen, mit politischem Einsatz und Wagnis ihren großen Anteil. Dennoch: Prag, Ungarn und dann der Fall der Mauer bleiben ein Wunder. Dies gilt um so mehr, als unser Geschichtsbuch mit dem 9. November an weitere Termine unserer Geschichte erinnert: 1918, 1938, und 1989. Es waren dunkelste Tage und helle. Trotz der dunkelsten die hellen Tage erleben zu dürfen, ist Wunder und Geschenk.

Immer noch kann ich es nicht fassen: Gerade sind wir in Freyenstein in einem großen Zug mit Kerzen durch die Stadt gelaufen, der in die Kirche mündete. Man konnte kaum stehen, so voll war es. Spannung lag in der Luft. Unsere Band spielte und mancher sang mit. Eine kurze Ansprache hatte ich mir vorgenommen. Es waren Stichworte, die ich fragend in den Raum stellte und wenige Gedanken dazu.

Was meinen wir, wenn wir uns nach Freiheit sehnen? Welche Erwartungen hegen wir, wenn wir nach Gerechtigkeit rufen. Wie definieren wir Wahrheit, die alte Frage? Wie soll lebenswertes Leben aussehen, wenn es sich denn nicht nur am Lebensstandard (D-Mark) orientiert?

Unerwarteter, Applaus war die Antwort. Ich war nicht sicher ob wir wussten warum wir applaudierten und ob uns klar war, wie sehr individuelle Vorstellungen und Erwartungen sich da verbergen und wie viel es auch an uns liegt.

Natürlich ist klar, dass es keine ideale gesellschaftliche Entwicklung gibt, wenn es um Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden geht. Auch „blühende Landschaften“ entstehen nicht über Nacht und ganz ohne unseren verantwortlichen und geduldigen Einsatz. Jahrzehntelange Fehlentwicklungen brauchen vielleicht auch wieder Jahrzehnte, ehe sie annähernd ausgeglichen sind.

Ungerechtigkeiten müssen immer wieder benannt und abgestellt werden. Aber es darf und muss dankbares Staunen darüber geben und bleiben, dass unser Land und Volk seit 30 Jahren in Freiheit und Einheit leben darf. Dasselbe gilt auch und nicht weniger für das Geschenk von Frieden und Versöhnung seit 74 Jahren auf dem, europäischen Kontinent.

30 Jahre Freiheit und Einheit - „Gott sei Dank“! - 30 Jahre Mauerfall, trotz dunkelster Geschichte! Ja, es bleibt noch viel zu tun, übrigens immer, um die Reste von Mauern abzutragen und den geschenkten Frieden zu bewahren!

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