Moment Mal
von Superintendentin Eva-Maria Menard
Friedhofsspaziergang - Gedanken zum Totensonntag
Ich gehe gern über Friedhöfe, rings um unsere alten Dorfkirchen oder am Rande der Stadt. Ich sehe die gepflegten Gräber, die geharkten Wege, lese die Namen der Toten, die ich nicht kenne. Wahrlich ein friedvoller Ort, denke ich dann.
An anderen Gräbern stehe ich sehr traurig. Auch sie sind liebevoll gepflegt. Aber ich kenne die Namen und weiß um die Geschichten. Da liegen die, die so schlimm gelitten haben. Manche an so sinnlosen Krankheiten. »Gekämpft, gehofft und doch verloren.« Im Sommer hab’ ich einen guten Freund begraben – viel zu jung. Warum? Fragen viele. Ich auch.
Und da gibt es noch die anderen Gräber, und die sind noch sinnloser als die Krankheitsgräber. Vor hundert Jahren war der erste Weltkrieg zu Ende. Ich sehe die Soldatenfriedhöfe. Ich lese die Namen der gefallenen Soldaten auf den Tafeln in unseren Kirchen: Junge Männer, manche noch halbe Kinder. Mancher Name wiederholt sich, erzählen Familientragödien von Kummer und existenzieller Not. Nicht einer von ihnen ist einen sinnvollen Tod gestorben, auch wenn versucht wurde, diesen Toden einen Sinn abzugewinnen.
Und ich gehe weiter durch die Welt und erkenne: Die sinnlosesten, schlimmsten Gräber machen Menschen einander selbst. Egal, wie sie heißen, ganz gleich, was sie für Vorwände haben für ihre Greuel und ihren Mord.
Sie graben Gräber mit Schaufeln aus Hass, mit Spaten aus lauter niederen Instinkten, und sobald sie ein bisschen Macht übereinander bekommen, dann schreien sie nicht mehr nur, dann töten sie.
Wenn ich diese Gräber sehe, dann wünsche ich mir so sehr, wonach der Prophet Jesaja sich schon sehnte und für sein Volk erhoffte:
Siehe, ich will einen neuen Himmel
und eine neue Erde schaffen,
Niemand wird mehr weinen und klagen.
Es gibt keine Kinder mehr,
die nur ein paar Tage leben,
und niemand, der erwachsen ist,
wird mitten aus dem Leben gerissen.
Sie werden Häuser bauen und bewohnen,
sie werden Weinberge pflanzen
und ihre Früchte essen.
Sie werden sich nicht vergeblich abmühen.
Die Frauen gebären ihre Kinder nicht länger
für eine Zukunft voller Schrecken.
Man wird weder Bosheit noch Schaden tun
auf meinem ganzen heiligen Berge,
spricht Gott, der Herr.
(aus Jesaja 35)
Die wünsche ich mir. Diese Welt, wo es keine sinnlosen Gräber mehr gibt. Keine Krankheitsgräber, keine Kriegsgräber und keine Terrorgräber. Nur noch die guten Gräber, an denen Menschen weinen können in Dankbarkeit und in Schmerz. Diese Gräber trösten mich, machen mir Mut. Da fängt ja das Neue schon an, da ist Frieden zu spüren. Da leuchtet schon ein Stück von Gottes neuer Welt. Wo Menschen gut miteinander sind. Im Leben und im Sterben.
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