Moment Mal
von Pfarrerin Anna Trapp
Eigentlich mag ich das Treppengeländer des Treppenturms nicht. Es ist immer dreckig und meine Hände nehmen diesen Metallgeruch auf, diesen typischen Geruch der irgendwo grell auf den Zähnen knirscht. Aber heute greife ich trotzdem wieder hin.
Das Gerüst zu erklimmen ist einfacher wenn man die Handläufe nutzt. Und heute geht es für mich mal wieder hoch hinaus. Bis ganz oben. Erst über die Treppen, das ist halbwegs bequem und dann über die Leitern. Die letzten Gerüstetagen immer über die Leitern. Die sind zwar wackliger und weniger bequem aber sie erfüllen ihren Zweck. Schließlich stehe ich oben.
Ein bisschen wacklig zugegeben, die ganz große Höhe fordert mich heraus. Es ist immer auch etwas Überwindung noch eine Leiter zu nehmen und dann an der Gerüstbrüstung zu stehen, die doch nicht mehr ist als ein bisschen Metall. Mein Puls geht merklich, ich schiebe das aber auch einfach mal auf die Anstrengung die der Aufstieg mit sich bringt. Mein Magen fühlt sich ein bisschen flau an, aber mein Verstand hält ihn im Zaum. Und dann ist es so weit, mein Blick schweift über die Stadt und darüber hinaus erstreckt sich die atemberaubende Landschaft.
Meine Augen suchen an diesem Spätsommertag den Horizont ab und finden den kleinen Uhrenturm in der Ferne. Wie wunderbar. Ein toller Moment. Und dann betrachte ich ausführlich meine Kirche. Aus dieser Perspektive haben noch nicht viele sie betrachten können. Und ich berühre die Steine und Fugen und das Flaue Gefühl ist längst vergangen.
Nach zwei Bauabschnitten ergibt sich auch für mich eine gewisse Routine. Klar, ich bin noch immer die Einzige, die ihren Bauhelm trägt. Die meisten belächeln mich sicher dafür aber der Helm suggeriert mir ein bisschen mehr Sicherheit. Außerdem weiß jede*r auf der Rüstung wenn sich der rote Helm nähert – Achtung die Pfarrer*in – auf die bitte Acht geben.
Nachdem alles begutachtet ist macht sich die Gruppe auf den Abstieg, Ich auch. Und ich bin fröhlich und schaue noch in die Weite da geschieht es. Ich trete ins Leere. Es ist nur ein Moment. Ein Moment der Unachtsamkeit. Ein Herzschlag. Und der Moment geht durch und durch. Der Schrecken fährt direkt in die Magengrube und stößt gleichzeitig mit einer Wucht durch die Brust und verengt die Luftröhre. Meine Händepacken das Metall links und rechts mit ganzer Kraft und mein andere Fuß findet wieder sicheren Halt. Nur ein Moment, eine Schrecksekunde, ein Herzschlag und dann ist es wieder vorbei. Keiner der anderen hat etwas davon mitbekommen, aber ich zittere. All die Sicherheit, die Gewissheit für einen Moment verloren. Mein Verstand lacht mich aus, aber soll er doch. Der Moment des gefühlten Fallens, wenn nichts mehr sicher scheint, die Empfindung ist echt.
Aber „Gott sei Dank“ denke ich, als ich wieder auf dem Boden stehe, „war es heute nur ein kurzer Moment“ und meine Hände riechen nach Metall und ich lächle.
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