Moment Mal
von Superintendentin Eva-Maria Menard
Lechzen nach Leben
Im Büro stapeln sich die leeren Wasserflaschen. Das Gras ist braun, statt grün, in der Ostsee bilden sich giftige Algenteppiche, die Felder sind in der so genannten Noternte abgemäht, mein Kreislauf schleicht sich langsam durch den Tag.
Mensch und Tier, Gras und Korn lechzen in diesen heißen Tagen - den sogenannten Hundstagen - nach Wasser. Lechzen - dieses alte, fast ausgestorbene Wort hat wieder Konjunktur.
„Lechzen“ kommt vom mittelhochdeutschen lechen und bedeutet „vor Trockenheit rissig werden, für Flüssigkeit durchlässig werden“ und wandelte sich allmählich zum Synonym für „durstig sein“. Heute wird es im Sinne von „heftig nach etwas verlangen, was dringend für die eigene Existenz benötigt wird“ verwendet.
„Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott nach dem lebendigen Gott.“ So singt der biblische Beter in einem alten Lied (Psalm 42).
Kaum vorstellbar, sich so nach Gott zu sehnen, wie nach einem Schluck Wasser in großer Hitze. Benötige ich Gott dringend für meine Existenz? Sicher, manche Kirchen sind in einem heißen Sommer auch wegen ihrer erfrischenden Kühle gut besucht, aber der Beter lechzt nach weit mehr als einen kühlen Ort. Er sehnt sich nach Lebendigkeit, vielleicht weil Krankheit das Leben aus der Bahn geworfen hat, weil in der Fremde das Heimweh die Kraft der Seele verzehrt, weil Ungerechtigkeit weit und breit mit immer neuem Schrecken das Herz schwer macht: „Tränen sind meine Speise Tag und Nacht“ singt er klagend. Und die anderen spotten: „Wo ist denn nun dein Gott?“.
All diese Erfahrungen haben seine Seele austrocknen lassen, sie braucht dringend frische Nahrung. Doch woher soll die kommen? Die Seele nährt sich an Dingen, die man mit Geld nicht kaufen und mit Gewalt nicht erzwingen kann: sie nährt sich an Zuwendung, an Wertschätzung, am gemeinsamen Lachen, an einer zärtlichen Berührung. Der Beter bringt seinen Durst nach solch notwendigen Lebensmitteln vor Gott als seinem Schöpfer und Lebensspender, er schreit förmlich seine Sehnsucht nach neuem Leben heraus. Und er erinnert sich, dass es früher einmal gut war und schöpft aus dieser Erinnerung Hoffnung: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“
Sehnsucht - diese verstörende Verunsicherung in aller Behäbigkeit, in aller Genügsamkeit des sich eingerichtet haben in den Dingen, wie sie nun mal sind. Und wenn mich jemand fragt, wie es geht, sage ich „Muss ja“. Der Beter will mehr als „müssen“ , er sehnt sich nach mehr und ich bin mir sicher: Es wohnt ein Sehnen auch in uns. Wagen wir es, einander unsere Sehnsucht zu zeigen, sie auszusprechen, vor Gott zu bringen? Lechzend, singend, klagend? Und von ihm, unserem Lebensspender, etwas zu erwarten? In den Kirchen der Prignitz möchten wir Raum geben für das Aussprechen unsere Sehnsüchte im Singen, Klagen, Hoffen und Beten. Sie sind herzlich eingeladen, dort mehr als einen kühlen Ort zu finden.
Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst.
(Text aus Singt Jubilate; Text: Eugen Eckert)
Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz – sei da, sei uns nahe, Gott.
Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir.
In Ohnmacht, in Furcht –
sei da, sei uns nahe, Gott.
Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir.
In Krankheit, im Tod – sei da, sei uns nahe, Gott.
Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir.
Wir hoffen auf dich – sei da, sei uns nahe, Gott.
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