Moment Mal
von Pfrn. Verena Mittermaier
Tag der offenen Gesellschaft
Ein schönes Bild: Überall im Land stellen Menschen am selben Tag Tische und Stühle raus und decken eine Tafel. Freunde und Freundinnen, Fremde und Nachbarn sind eingeladen, Platz zu nehmen, zu essen, zu trinken und zu reden. Auf der Straße, im Park, auf der ehemaligen Flughafen-Landebahn, an allen möglichen Orten. Man lernt sich besser kennen, kommt ins Gespräch, hier wird Musik aufgelegt und spontan getanzt, dort wird hitzig debattiert. „Setzt euch dazu“, malt jemand mit Kreide auf einen Bordstein, und als Spruch des Tages kursiert: „Ich wusste gar nicht, dass ich so nette Nachbarn habe!“. Die Rentnerin, die vorher keinen kannte und sich dennoch in eine Tafelrunde traute, ist überrascht über die Aufgeschlossenheit der vier Generationen am Tisch. Woanders staunen die Gastgeber, dass zufällig zusammengewürfelte Menschen bis zum nächsten Morgen beisammen sitzen und angeregte Gespräche führen. „Klar, dass wir das wiederholen!“
Tatsächlich wurde jetzt fortgesetzt, was 2017 zum ersten Mal stattfand. Am „Tag der offenen Gesellschaft“ am 16. Juni setzten erneut viele Menschen quer durch die Republik und bis ins Ausland ein großes Zeichen „Dafür“: „Für das Engagement der Bürgergesellschaft, für gelebte Offenheit, Gastfreundschaft, Großzügigkeit, Vielfalt und Freiheit“, wie es im Aufruf der Organisator/innen heißt. Denn „die große Mehrheit in unserem Land lebt gerne in einer offenen Gesellschaft. Demokratie gibt es nur dann, wenn genug Menschen für sie eintreten, aktiv, überlegt, entschieden. Lasst uns diese hart erkämpfte Demokratie einfach mal feiern! Treffen, essen, Welt verbessern!“ An hunderten von Orten luden darum Privatleute, Vereine, Initiativen oder Kirchengemeinden zu Tafelrunden und Picknicks ein. Auch hier in der Prignitz wurde die Idee diesmal aufgegriffen.
Dass es sich beim gemeinsamen Essen und Trinken gut diskutieren lässt und dass bunt gemischte Tischgemeinschaften etwas in den Köpfen der Menschen in Bewegung bringen können – diese schöne Erfahrung gibt es schon lange. Für mich als Christin liegt das Beispiel von Jesus besonders nahe. Ich glaube, der hätte beim Tag der offenen Gesellschaft ohne Umschweife mitgemacht und sich gerne öffentlich mit anderen an den Tisch gesetzt. Nicht nur, dass aus Wasser dann womöglich wunderbarer Wein geworden wäre, der die Feierstimmung unterstützte. Durch Jesus kamen auch Menschen am selben Tisch zusammen, die sich sonst nicht einmal von hinten anschauten. Da saß der skrupellose Zolleintreiber neben dem vorbildlichsten Kirchgänger, da kam die geächtete Ehebrecherin genauso zu Wort wie Menschen mit Handicaps, die normalerweise unsichtbar weit draußen am Rand der Gesellschaft lebten. Dass Jesus auch Kinder ernstnahm und mit Fremden redete, stieß ohnehin viele vor den Kopf.
Und mit Erstaunen lese ich: die Tischgemeinschaften brachten es oft fertig, dass am Schluss alle ein bisschen verändert und nachdenklich nach Hause gingen. „Die Menschen wunderten sich“, „sie staunten“, „sie dankten Gott“ … viele Jesus-Erzählungen enden so. Und nicht wenige Leute überdachten ihre Lebensweise und nahmen sich vor, etwas zu ändern.
Ob es auch in Meyenburg vor dem Netto-Markt oder auf dem Kirchplatz in Perleberg gelingt, dass öffentliche Tischgespräche Bewegung in unser Miteinander bringen? Wir können es ausprobieren. Nicht nur, aber besonders am „Tag der offenen Gesellschaft“.
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