Moment Mal
von Pfr. i.R. Stephan Flade
Gedenke der vorigen Zeiten
...und hab acht auf die Jahre von Geschlecht zu Geschlecht. Frage deinen Vater, der wird dir´s verkünden, deine Ältesten, die werden dir´s sagen.“(5. Mose 32,7)
Münchens Seniorenstift „Augustinum“ teilte uns den Tod unseres 92jährigen Freundes mit. Beide Söhne wie Ehefrau waren vor ihm verstorben. Lebenssatt, abgekämpft, sterbensmüde - so war sein Ende. Ein streitbarer Schriftsteller in der Öffentlichkeit, der sich in den 1970er bis 1990er Jahren zum deutsch-deutschen Dialog unter Autoren und Künstlern, zur Friedens- und Abrüstungsfrage, zu den Verdächtigungen der Staatsnähe nach der Wende laut vernehmlich äußerte. Seine Stimme schweigt. Späte Äußerungen hatte das Feuilleton der Medienkonzerne nicht hören wollen. Den Literatur-Redaktionen fremd, dem asozialen medialen Kapitalismus gegenüber distanziert, wurde es still um ihn. Sein letztes Buch beschrieb Altern und Abschiednehmen vom Leben im Altersheim. „Es will Abend werden“, zuvor auch Kritisches über Suchterkrankungen eines seiner Söhne. Die Rede ist von Dieter Lattmann (1926 -2018).
Warum das im „Moment mal“? Weil es ums memento mori geht, um das Erinnern unserer Sterblichkeit und um unseren Umgang mit Menschen, die vor dem letzten Lebensabschnitt stehen, ja auch um unser eigenes kommendes Sterben.
In Wittenberge soll ein Hospiz gebaut werden. Das ist gut und nötig. Es braucht Räume, um in Ruhe und Würde vom Leben Abschied zu nehmen. Mehr noch. Es braucht eine Kultur, die das Lebens-werk der aus dem aktiven Berufsleben ausgeschiedenen Alten noch einmal reflektiert und deutlich positiv, das meint hörbar, öffentlich würdigt.
Was haben die vorangegangenen Generationen für uns Nachfahren nicht alles geleistet?
Waren deren Zeitumstände, häufig komplizierter als unsere, nicht roh und hart?
Wohin ist bei uns die Achtung und Ehrerbietung vor alten Menschen verschwunden (auch wenn diese betagten Menschen verwirrt, gezeichnet und schlechter angezogen sind)?
Was geht da alles an Würdigung verloren (wenn kaum Kinder und junge Leute in öffentlichen Verkehrsmitteln zugunsten Älterer von den Sitzplätzen aufstehen)?
Für viele Erwachsene reduziert sich Alter und Tod auf die Erwartung zur Übernahme der Konten und das Erben von Immobilien der Groß-/Eltern.
Auch Friedhöfe mutieren. Die „grüne Wiese“ ist ein Symbol für schnelles Vergessen, ohne die Bereitschaft zum anhaltenden pflegenden Erinnern an die Eltern, Großeltern.
Wir Christen sollten da andere Wertvorstellungen in die verfallene Moral der kapitalistischen Nutz-Kultur einbringen, siehe auch die derzeitige Debatte um Friedhöfe und das Bestattungsgesetz.
„Gedenke der vorigen Jahre ...“. Krankheit und Gebrechlichkeit ist kein Tatbestand des hohen Alters, sie können sehr schnell unter uns Jüngeren zur harten Lebenswende werden.
Ich habe mir in meiner Rentenzeit vorgenommen, die noch lebenden alten Freund_innen und Mitstreiter_innen, Professor_innen und Kolleg_innen noch einmal zu besuchen, um ihnen schlicht und herzlich zu danken. Ohne sie wäre ich jetzt eine einsame röhrende Pfeife. Durch sie habe ich das Wohltönen im Generations-Miteinander gelernt. Das will ich mir bewusst erhalten. Das sollen sie von mir noch oft zu Lebzeiten hören. Ich nutze mein Geld für die Besuchsfahrt zu ihnen und spare mir dann den großen Kranz zur Beerdigung. „Gedenke der vorigen Jahre ...(5.Mose 32,7)“.
Einen Kommentar schreiben