Moment Mal
von Pfarrer Sacha Sommershof
Ich sitze im Zug, der mal wieder Verspätung hat, und merke, dass ich angespannt bin und mich ärgere. Werde ich meinen Anschlusszug erreichen oder muss ich zwei Stunden warten, bis der nächste fährt? Neben mir sitzt eine ältere Dame, die sich offensichtlich keine solchen Sorgen macht. Im Gegenteil, mit abgeklärter Gelassenheit informiert sie sich beim Schaffner über eine neue Verbindung falls die Verspätung entrifft. Mit zwei Anrufen organisiert sie das Abholen am Zielbahnhof und lehnt sich danach gemütlich mit ihrem Buch zurück.
Ich ärgere mich immer noch, weniger über den verspäteten Zug, als vielmehr über mich. Statt gelassen das Notwendige zu tun, habe ich mich in lähmender Wut verloren. Vielleicht kennen Sie dies auch und fragen sich in solchen Situationen, was der Ärger am Ende eigentlich gebracht hat. Meistens trägt er nämlich nichts zur Lösung eines Problems bei, sondern verstärkt dieses nur noch. Ich wünschte mir, mehr Gelassenheit zu haben, so wie die ältere Dame im Zug neben mir.
Zugegeben, ein verspäteter Zug ist ein vergleichsweise kleines Problem. Im Laufe des Lebens wird man aber mit großen und schwierigen Dingen konfrontiert, die sich nicht so einfach lösen lassen, sondern die zuerst einmal alles Denken und alles Tun lähmen: Wenn wie aus dem Nichts eine furchtbare Diagnose gestellt wird, wenn der Partner die gut geglaubte Beziehung für beendet erklärt oder wenn der bisherige Lebensweg plötzlich in Frage gestellt wird. Dann zur Gelassenheit zu raten, scheint nicht ganz passen zu sein. Manchmal aber haben Begriffe eine tiefere Bedeutung, als ihr alltäglicher Gebrauch. So ist es auch mit dem Wort Gelassenheit. Es stammt aus dem Mittelhochdeutschen und meint „Gottergebenheit“, „sich ruhig niederlassen“. Für eine aufgewühlte Seele, für den Kopf, durch den die Gedanken wirbeln, wäre eine solche Gelassenheit doch etwas Wunderbares: zur Ruhe kommen, einen Moment innehalten, um auch wieder den nächsten Schritt wagen zu können.
Dies aus sich heraus zu schaffen, gelingt nicht leicht. Manchmal braucht es einen Impuls von außen, wie den, der im Alten Testament der Bibel zu finden ist. Dort sagt Gott: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin für dich Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ Gelassen zu sein, gelingt womöglich dann, wenn ich es im Vertrauen bin, gehalten zu sein und gestärkt zu werden und Hilfe zu bekommen. Dieses Versprechen Gottes steht und lädt dazu ein, sich darauf einzulassen und einen ersten Schritt aus der eigenen Unruhe zu wagen und sich nicht lähmen zu lassen.
Meinen Anschlusszug habe ich übrigens noch erreicht. Ganz gelassen habe ich den Bahnsteig gewechselt, denn auch dieser Zug hatte Verspätung.
Ich wünsche Ihnen Gottes Kraft zur Gelassenheit in dem, was Ihnen an kleinen und großen Dingen in Ihrem Leben begegnet. Ihr Pfarrer Sacha Sommershof
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