Moment mal
von Superintendent Hans-Georg Furian
wieder ist ein Jahr vorbei. Sind wir in einer Zeit zu Hause, in der keiner mehr Zeit hat. Ein Mensch, der zugibt, dass er Zeit hat, wird ungläubig bestaunt und heimlich für einen Faulpelz gehalten.
Denn schließlich gilt: Zeit ist Geld. Nichtstun ist da zu teuer. In dieser Situation hat die Faulheit tatsächlich eine Botschaft. Der Faulenzer entzieht sich dem Sog einer Gesellschaft, die bloß Leistung als Nachweis für die Existenzberechtigung gelten lässt.
Um der Zeitnot Herr zu werden sind wir darauf verfallen, sie zu sparen. Doch das führt nur dazu, den Zeitmangel noch stärker zu spüren. Denn Zeit kann man nicht (auf)sparen, sondern nur leben.
Das bemerken wir auch dann, wenn wir neue Techniken verwenden, um Zeit zu sparen. Tatsächlich beschleunigen wir unser Leben. Denken Sie daran, dass wir uns früher Briefe schrieben. Heute erledigen wir das per e-mail. Das geht soweit, dass mir in einem Geschäft gesagt wird, dass es deshalb keine Weihnachtskarten gibt, weil sich die Leute keine mehr schreiben würden. Die neuen Techniken führen nicht dazu, dass wir Zeit sparen, sondern nur dazu, mehrere Dinge gleichzeitig und also schneller erledigen zu können als früher. Wir entwickeln uns zu Simultanten, zu Menschen, die gleichzeitig mehres tun. In der Beschleunigungsspirale angekommen erinnere ich mich eines Gespräches, das ich an einer Tankstelle in Sambia geführt habe. Die Leute merkten, dass ich es eilig hatte und einer von ihnen sagte zu mir: ‚Du hast die Uhr und wir haben die Zeit‘.
Der Mann hatte recht. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen darüber, wie unterschiedlich wir Menschen mit unserer Zeit umgehen. So hat man untersucht, wo die Menschen am schnellsten laufen, wo das Lebenstempo besonders hoch ist. Am schnellsten gehen die Schweizer, gefolgt von den Iren, den Deutschen und den Japanern. Schlusslicht sind die Mexikaner. Staffan Linder, ein schwedischer Ökonom, hat in den 70’ziger Jahren formuliert, dass sich Zeitarmut und Güterwohlstand proportional zueinander verhalten: je erfolgreicher Sie werden, desto sicherer geht Ihnen die Zeit aus.
Die Idee, durch Wohlstand und moderne Techniken schneller zu leben, um dann erleben zu können, wozu man mehrere Leben bräuchte, verwirklicht sich leider auch nicht. Denn wollten wir uns die Dinge aneignen, müssen wir mit ihnen Zeit verbringen um sie so zu ‚unseren‘ machen zu können. Wir eignen uns die Dinge aber nicht mehr an, sondern kaufen sie. Und je weniger wir uns angeeignet haben, umso mehr müssen wir kaufen. Es entsteht ein Gefühl der Enttäuschung. Angesichts der Filme und CD’s, die wir kauften, aber nicht sahen und hörten, breitet sich eine Leere aus, die nur durch den Kauf weiterer Dinge ausgeglichen werden kann. Doch das Buch, das wir kauften, sparen wir uns dann auf, um es im Urlaub zu lesen. Damit wären wir wieder am Beginn, bei der Idee, wir könnten Zeit (auf)sparen, um unserer Zeitnot Herr zu werden. Das ist ein hoffnungsloses Bild. Die Frage ist, ob das Neue Testament uns da heraushilft. Tatsächlich sagt es etwas zum Thema Zeit.
Es gibt zwei wesentliche Äußerungen; auch wesentlich für diejenigen, die sie gemacht haben. So beginnt Jesus Christus seine Botschaft mit einer Wendung, in der die Zeit eine Rolle spielt: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“ (Markus 1, 15) Und der Apostel Paulus meint im 4. Kapitel des Briefes an die Galater: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.“ Sie merken, das Stichwort ‚Zeit‘ spielt im Neuen Testament eine wichtige Rolle. Die Frage ist, was es für unser Verständnis von Zeit austrägt.
Zunächst fällt uns auf, dass in beiden Sätzen ein Wort auftaucht, dass wir entweder nicht kennen oder aber nicht mit dem Stichwort ‚Zeit‘ verbinden würden, das Wort:‚erfüllt‘. Hinter ihm steht die Vorstellung, dass es Momente gibt, die uns erfüllen, so dass für anderes keine Zeit mehr ist.
Zeit ist für das Neue Testament kein leerer Behälter, der darauf wartet, dass wir – oder andere – ihn füllen. Sie ist schon durch das, was uns an Möglichkeiten von Gott in unserer Zeit angeboten wird, gefüllt. Von seinen Möglichkeiten kommen unsere Alternativen. Es ist also gar nicht unsere Aufgabe uns in unserer Lebenszeit selbst zu erfinden. Vielmehr dürfen wir finden, wie Gott sich uns dachte. Und weil alle Zeit von ihm kommt und in ihn zurückfließt, dürfen wir dessen gewiss sein, dass er vollendet, was an uns unvollkommen und unfertig blieb. Denn wir werden nie fertig, dazu reicht eben auch unsere Zeit nie aus. So entlastet uns die Vorstellung, die das Neue Testament von der Zeit hat. Sicher möchte sie uns nicht zu Faulenzern machen – schließlich wird jeder von Gott danach gefragt, was er mit seiner Zeit angefangen hat -, aber eines haben wir nicht nötig: zu meinen, wir müssten als perfekte Menschen uns unser Leben durch unsere Lebensleistung verdienen können. Nein: Zeit ist ein Geschenk. Daran hat sich nichts geändert, auch in der Marktwirtschaft nicht.
Vielleicht nehmen wir uns die Freiheit, Dinge ungetan sein zu lassen; im Bewusstsein dessen, dass es auch noch Gottes Ewigkeit gibt.
Einen Kommentar schreiben
Kommentar von Ken Telschow |
Thank you for your words of inspiration about time. Time here is such a blessing. God's definition time is definitely not ours.