Moment mal
von Pfarrer Olaf Glomke
Worauf warten Sie?
Das Wartezimmer einer Arztpraxis ist bis auf zwei Plätze gefüllt. Auf einem Tisch in der Mitte steht ein Adventskranz. Keine der vier Kerzen ist bisher entzündet worden. Geht nicht in öffentlichen Räumen. Doch drei Adventskerzen hätten heute leuchten dürfen. Sechs Menschen schweigen. Der Mann mit dem dunklen Schal hustet kräftig. Er hat sich ein Buch mitgebracht. Er hat sich aufs Warten eingerichtet. Die Arzthelferin ruft Frau Schiemann auf. Die weißhaarige Dame steht schwerfällig auf. Mit ihrer verbundenen Hand kann sie die Illustrierte nicht festhalten, sie fällt zu Boden. Das Geräusch unterbricht die Stille. Die Frau neben ihr beugt sich hinunter und hebt die Zeitschrift auf. Man tauscht freundliche Blicke. Die Tür zum Behandlungszimmer schließt sich. Der Mann mit dem dunklen Schal blättert die nächste Seite um. Die wartende Stille kehrt zurück.
Worauf warten Sie eigentlich? Das Warten gehört in die Adventszeit. Christen erwarten das Kommen Jesu. Ich befürchte, manche Menschen erwarten nichts. Noch weniger vom Advent. Man möchte den Stress vor den Weihnachtstagen bewältigen. Und bald geht das Ganze ja im neuen Jahr weiter. Wenn wir auf nichts warten, erwarten wir wenig von der Zukunft. Manche werden sagen: Ich erwarte ein paar ruhige Weihnachtstage. Kinder warten sehnsüchtig auf die Geschenke und viele erhoffen eine weiße Weihnacht. Frühere Generationen haben auf das Kommen Jesu gewartet. Und nicht allein die Christen haben die Hoffnung auf Gerechtigkeit und endlich Frieden für die Welt damit verbunden. Der Blick auf den Stern von Bethlehem und die Geburt im einfachen Stall, hat den Menschen geholfen. Sie konnten die Augen aufheben aus den Konflikten und Problemen ihres Alltags. Ihr Blick hat sich geweitet. Ihr klagendes Schweigen unterbrochen. Das hat ihrem Leben Hoffnung und Kraft gegeben.
Die Tür zum Wartezimmer öffnet sich. Eine Frau tritt ein. Sie erkennt eine Bekannte unter den Wartenden. „Maria, was machst du denn hier?“ „Wiedermal die Bandscheibe. Ich kann mich kaum bewegen.“ Die Beiden beginnen sich angeregt zu unterhalten. Das es ihren Mann auch so erwischt hat. Und das die Nachbarin in ein Seniorenheim gegangen ist und nun Flüchtlinge in die Wohnung einziehen. Alle hören zu. Blicke treffen sich. Und als Maria erzählt, wie sie immer Zimtsterne in der Adventszeit backt, beginnen auch zwei Nachbarinnen miteinander zu reden. Noch vor wenigen Augenblicken waren alle mit ihren Sorgen und Schmerzen schweigend allein. Jetzt nehmen sie sich wahr, reden miteinander. Der Mann mit dem dunklen Schal räuspert sich, klappt sein Buch zu und zündet die drei Kerzen am Adventskranz an - auch wenn man das ja eigentlich nicht darf.
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