Wort zur Woche
von Pfarrer Volker Sparre
Verzicht auf Vergeltung
Am Sonntag begehen wir den Volkstrauertag. Wir betrauern viele, viel zu viele Vertraute und Namenlose als schauervolle Ernte der Kriege, als Opfer der Konzentrationslager, als Hingerichtete, Vertriebene und Flüchtlinge. Alle waren Menschen, die leben wollten, wie wir. Jedes Grab und jeder Gedenkstein, der für sie aufgerichtet wurde, spricht zu uns. Er zeugt von Sinnlosigkeit der Kriege, von Hass, von Sterben junger, hoffnungsvoller Menschen, von Tränen Hinterbliebener und der Pflicht liebenden Gedenkens und ehrlicher Neubesinnung.
Auch in unserer Zeit ist Krieg an allen Enden, und wir erleben die Menschen, die bei uns Hilfe und Rettung suchen. Wir sind verantwortlich für unser Tun in der Vergangenheit und in der Gegenwart nicht nur vor der Menschengemeinschaft und unserem eigenen Gewissen. Wir haben Recheneinen schaft zu geben auch vor einer grundsätzlicheren Instanz. Davon redet der biblische Spruch für die neue Woche. „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ (2. Kor. 5,10). Und in dem Evangelium für diesen Sonntag solidarisiert sich Jesus mit unseren Mitmenschen und sagt, dass wir alles, was wir einem Menschen getan oder an ihm versäumt hätten, dass wir das Jesus getan oder an ihm versäumt hätten (Matth. 25, 40+45). Jesus sagt in der Bergpredigt, dass der Totschlag damit beginne, dass man über andere Menschen schlecht redet und ihnen die Anständigkeit und Güte abspreche.
Bisher hat jede Gewaltaktion gegen Menschen damit begonnen, dass man sie zu Feinden erklärt. Erst einmal muss dargelegt werden, dass betreffende Personen abgrundtief böse und gefährlich sind, dann wird auch einsehbar dass man sich gegen sie schützen und gegen sie vorgehen muss, schon aus Selbsterhaltung und Verantwortung gegenüber Anbefohlenen. Bisher sind immer alle Waffen zur Verteidigung und zur Befreiung hergestellt und genutzt worden. Jesus sagt, dass er sich Menschen vorstelle, die es wagen, auf andere Menschen vertrauensvoll zuzugehen, und auch sie zum Vertrauen ermutigen. In der Bergpredigt lesen wir, dass wir nicht Frieden finden können, so lange wir nach dem Gesetz der Vergeltung handeln, und bemüht sind, jede Kränkung heimzuzahlen. Jesus sagt, dass er sich Menschen vorstelle, die das Überraschende tun, indem sie auf Zurückschlagen bewusst verzichten. Wem sein persönliches Recht weniger wichtig ist, als das gute Zusammenleben, der kann allen zu einem neuen und segensreichen Anfang verhelfen. In dieser Woche haben wir an solch einen Menschen gedacht. Am Mittwoch war Martinstag. Seine bekannte Teilung des Mantels mit dem Notleidenden war nicht nur ein mildtätiger Akt, sondern bedeutete zugleich Rebellion gegen die Macht der Gewalt und eine Tat des Ungehorsams. Er zerstörte immerhin den Militärmantel des römischen Kaisers, Stolz und Ansehen seiner Elitetruppe.
In der Bergpredigt sagt Jesus, dass derjenige, der nur Gutes tue, um von den Leuten gesehen zu werden, lediglich Sichtwerbung betreibe. Er stelle sich Menschen vor, die das Gute selbstverständlich und in aller Stille tun. Dorthin blicke Gott, und er mache etwas aus unserem Tun, das er brauchen kann. Er eröffnet uns die große Möglichkeit der Vergebung und des Neuanfangs, wie wir im Vaterunser immer wieder beten.
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